Ab Februar 2011 wird ein Großteil der Tankstellen in Deutschland den neuen Kraftstoff E10 anbieten. Er besteht zu 90 Prozent aus Benzin und zu 10 Prozent aus „Bio“-Ethanol, einem Alkohol aus pflanzlichen Rohstoffen, wie Rüben, Getreide oder Zuckerrohr. E10 soll laut Umweltministerium die CO2-Emissionen reduzieren und die Erdölreserven schonen.
Doch ob E10 der Atmospääre tatsächlich CO2 erspart, ist mehr als fraglich. Sicher ist aber: Der Anbau von „Energiepflanzen“ konkurriert mit dem Anbau von Nahrungsmitteln und zerstört natürliche Ökosysteme. Das Umweltinstitut München ruft daher alle Autofahrer zum Boykott des E10-Kraftstoffes auf. Das deutsche Biokraftstoffquotengesetz schreibt den Mineralölhändlern vor, eine jährlich steigende Menge an „Bio“kraftstoffen auf den Markt zu bringen. Mit der Einführung des Kraftstoffs E10 soll der Anteil von Agrobenzin auf 3,6 Prozent erhöht werden.
Weniger Treibhausgase durch E10?
Aufgrund der Proteste von Umwelt- und Entwicklungsorganisationen gegen Agrosprit führte die EU eine „Biokraftstoff-Nachhaltigkeitsverordnung“ ein. Diese schreibt vor, dass Biotreibstoffe gegenüber fossilen Kraftstoffen mindestens 35 Prozent Treibhausgase einsparen müssen.
Doch diese angebliche Reduktion um mindestens 35 Prozent ist geschicktes Greenwashing. Denn E10 besteht nur zu zehn Prozent aus „Bio“ethanol. Damit reduziert sich der CO2-Ausstoß in den Autoabgasen insgesamt nur um circa 3,5 Prozent. Ein Witz, angesichts der Risiken und Nebenwirkungen der Agrokraftstoffe.
Allein eine sparsame Fahrweise reduziert den Benzinverbrauch um 20 Prozent. Auch mit leichten, geringer motorisierten Fahrzeugen lässt sich deutlich mehr CO2 einsparen, als mit dem vermeintlichen Ökosprit. Doch selbst die angebliche CO2 -Reduktion um 35 Prozent ist umstritten. Diese wurde zwar als Mindestanforderung festgeschrieben. Allerdings werden entscheidende Treibhaus-Effekte in der komplizierten CO2 -Bilanzrechnung überhaupt nicht berücksichtigt. Gar nicht erfasst werden zum Beispiel die so genannten indirekten Landnutzungsänderungen.
Auswirkungen indirekter Landnutzungsänderungen
Der Anbau von Agrosprit-Pflanzen benötigt Millionen Hektar an Ackerflächen. Werden Naturflächen wie Wälder, Savannen oder Wiesen in Agrospritäcker umgewandelt, wird CO2 freigesetzt. Gemäß Nachhaltigkeitsverordnung muss dieser Treibhauseffekt in die CO2 -Bilanz des Agrotreibstoffs einbezogen werden.
Oft erfolgt die Umwandlung von Naturflächen jedoch indirekt: Die von den Agrospritpflanzen verdrängten Nahrungsmittel werden auf neu erschlossenen Flächen angebaut. Die Effekte dieser so genannten „indirekten Landnutzungsänderung“ (Indirect Land Use Change, ILUC) werden durch die Biomassenachhaltigkeitsverordnung nicht erfasst.
Insgesamt stehen durch Agrosprit weniger Flächen für die Produktion von Nahrungsmitteln zur Verfügung. Die Ackerflächen auf der Erde sind schlicht zu klein, um gleichzeitig die Welternährung sicherzustellen und unsere Mobilität zu ermöglichen. So verdammt Agrosprit Millionen Menschen zu Hunger und Mangelernährung.
Fetter Profit auf schlechten Böden?
Gerne wird der Anbau auf degradierten Flächen, also auf Böden, die bereits stark an Produktivität eingebüßt haben, als umweltverträgliche Lösung für den Anbau von Energiepflanzen genannt. Doch dies ist Wunschdenken. Degradierte Flächen liegen schließlich brach, weil sie nicht rentabel sind. Ihr Ertrag ist gering und der Aufwand für Maßnahmen zur Bodenverbesserung hoch. Werden degradierte Flächen wiederum mit großen Mengen an Kunstdünger behandelt, ist der Klimanutzen sowieso dahin.
Doch in der Praxis werden schlechte Böden nicht für den Anbau von Agrospritpflanzen genutzt, denn diese „Cash-Crops“, werden auf dem Weltmarkt gehandelt und sollen Geld in die Kasse bringen. Würden sich die internationalen Ethanol-Produzenten mit der mageren Ausbeute degradierter Böden zufrieden geben? Sicher nicht. Je größer die Nachfrage nach Energiepflanzen, je höher die Profite durch den Verkauf von Ethanol, umso eher wird Agrosprit auf den besten Böden angebaut. Diese Flächen sind dann für den Anbau von Nahrungsmitteln oder als Naturraum verloren.
Der Anbau von Energiepflanzen geht einher mit einer weiteren Intensivierung der Landwirtschaft, industriellen Monokulturen und Gentechnik. Sicher wird die Agro-Sprit-Pproduktion keinen nachhaltigeren Weg beschreiten, als die bisherige globalisierte industrielle Landwirtschaft. Noch dazu werden die Grenzwerte für Agrargifte für Agro-Sprit weniger streng sein als für Lebensmittel.
Zertifizierung: Der Bock wird zum Gärtner
Die Nachhaltigkeit der Agrospritproduktion soll gemäß „Biokraftstoff-Nachhaltigkeitsverordnung“ über ein Zertifizierungsverfahren kontrolliert werden.
Die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) hat bisher zwei Zertifizierungssysteme anerkannt, die Kriterien für die nachhaltige Biomasseproduktion entwickelt haben: die „International Sustainability and Carbon Certification (ISCC)“ und die „REDcert (Gesellschaft zur Zertifizierung nachhaltig erzeugter Biomasse mbH)“. Beide Zertifizierungssysteme werden von der Biomasse verarbeitenden Industrie dominiert.
ISCC und REDcert
Das Mitgliederverzeichnis der ISCC liest sich wie das globale Branchenbuch der Bioenergie-Unternehmen, von A wie „ Abengoa Bioenergy Trading Europe“ bis V wie „Verband der Deutschen Biokraftstoffindustrie e.V.“. Riesige Konzerne wie Cargill, Nestlé, Shell und Morgan Stanley sind Mitglieder des ISCC e.V.
Die Gesellschafter der REDcert kommen ausschließlich aus der Biomasseindustrie. Es sind unter anderem die Union zur Förderung von Öl- und Proteinpflanzen, der Verband der Deutschen Biokraftstoffindustrie, der Verband der Ölsaatenverarbeitenden Industrie in Deutschland und der Bundesverband der Ethanolwirtschaft. Nicht eine Organisation der Zivilgesellschaft ist in dieser Zertifizierungsorganisation vertreten. So ist keine unabhängige Zertifizierung möglich, welche im Zweifel gegen Profitinteressen entscheidet und die Interessen der von Agrospritproduktion betroffenen Natur und Menschen vertritt. Diese Zertifizierungssysteme sind reine Marketingmaßnahmen der Agrosprit-Industrie.
Eins plus eins ist?
Selbst wenn man den Zertifizierungssystemen und -stellen integre Absichten unterstellt, ist eine Bilanzierung der Klimaeffekte von Agrosprit praktisch unmöglich. Die Modelle zur Bilanzierung sind extrem komplex, Studien kommen je nach Auftraggeber zu unterschiedlichsten Ergebnissen. Zu viele Faktoren sind zu berücksichtigen, zum Beispiel Effekte des Klimawandels, Bevölkerungswachstum, Bodendegradation, Spekulation auf den Rohstoffbörsen, Landnutzungsänderungen sowie wirtschaftliche Entwicklung in den Schwellenländern.
Der gesunde Menschenverstand sollte zur Erkenntnis verhelfen, dass ohne die Erschließung zusätzlicher Flächen oder die extreme Intensivierung der Flächennutzung nicht Millionen Tonnen Ackerfrüchte zusätzlich erzeugt werden können.
Ein Problem kommt selten allein
Dem Autofahrer bringt E10 zudem gewichtige Nachteile. So verbraucht ein Motor durch E10 ein im Durchschnitt drei Prozent mehr Treibstoff. Der Finanzminister kann also mit erheblichen Mehreinnahmen rechnen. Vor allem Besitzer älterer Autos müssen außerdem Motorschäden fürchten, da viele Modelle den hohen Ethanolanteil nicht vertragen.
Sogar Gesundheitsschäden durch die Agro-Abgase sind nicht auszuschließen: Gemäß Frau Professor Katharina Kohse-Höinghaus von der Physikalischen Chemie an der Universität Bielefeld hat eine brasilianische Studie einen eindeutigen Zusammenhang zwischen dem Verbrauch von Ethanol als Kraftstoff und der Menge an Aldehyden gezeigt. Aldehyde gelten als Vorläufer von Ozon. Dieses kann in hohen Konzentrationen Atemwegsreizungen hervorrufen. Auch krebserregendes Formaldehyd entsteht bei der Verbrennung von Ethanol.
Weniger Auto statt mehr Agrosprit
Der Straßenverkehr in der EU wuchs zwischen 1997 und 2007 um 43 Prozent. Das Verkehrsministerium erwartet bis 2015 eine weitere Steigerung des Verkehrsaufkommens. Der Personenverkehr wird voraussichtlich um 20, der Güterverkehr um bis zu 70, und der Güterfernverkehr um 80 Prozent wachsen. Diesen Verkehr gilt es, laut Bundesminister Peter Ramsauer, „zu ermöglichen, nicht zu verhindern“. Dabei ist der Verkehr EU-weit schon heute für über 25 Prozent der CO2 -Emissionen verantwortlich. Ein solches Transportaufkommen ist unsinnig und hat verheerende Auswirkungen auf Mensch, Natur und Klima.
Agrosprit ist Greenwashing. Anstelle von Agrokraftstoffen brauchen wir ein neues Mobilitätsverhalten und eine umweltorientierte Verkehrspolitik. Dabei sollte die Vermeidung des Verkehrs erste Priorität haben, gefolgt von effizienten Technologien und sparsamer Fahrweise. Doch stattdessen plant die Bundesregierung mit der neuen PKW-Energieverbrauchskennzeichnung, große, schwere Spritschlucker als besonders effizient zu kennzeichnen. Agrosprit boykottieren!
E10 wird den Klimawandel nicht bremsen. Die Produktion von Agrotreibstoffen ist ökologisch und humanitär ein Desaster. Boykottieren Sie daher E10 und rufen Sie Menschen in Ihrer Umgebung dazu auf! Sie erkennen den E10 Kraftstoff an der Bezeichnung „Normal E10“, „Super E10“ oder „SuperPlus E10“ auf den Zapfpistolen beziehungsweise den Zapfsäulen. Kaufen Sie dieses Benzin nicht, sondern stattdessen Benzin mit der Bezeichnung „Super“, das „nur“ die gesetzlich vorgeschriebenen 5 Prozent „Bio“ethanol enthält. Oder noch besser: Lassen Sie Ihr Auto einfach mal stehen. Dabei ist der Nutzen für das Klima garantiert.
Antje Wagner, Dipl. Forst Stand: Januar 2011
|