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Gewerkschaften gegen prekäre Beschäftigung
27.10.2011 | 20:28 Uhr

Gewerkschaften fordern umfassende Maßnahmen der IAO gegen prekäre Beschäftigung

Mehr als 100 Vertreter/innen von Gewerkschaften aus aller Welt nahmen an einem Symposium über prekäre Beschäftigung teil, das vom 4.-7. Oktober vom IAO-Büro Arbeitnehmertätigkeiten (ACTRAV) in Genf veranstaltet wurde. An drei Tagen schilderten Gewerkschafter/innen, wie prekäre Beschäftigungsverhältnisse die Arbeitnehmerrechte, den Erfassungsbereich von Tarifverhandlungen, die Löhne und die Arbeitsbedingungen in der ganzen Welt gefährden.

Als einer der Hauptredner zeigte IUL-Generalsekretär Ron Oswald zur Eröffnung des Symposiums die wesentlichen Probleme auf, die sich der IAO in Bezug auf prekäre Beschäftigung stellen.

"Millionen Menschen leiden seit jeher unter prekären Lebens- und Arbeitsbedingungen," erklärte Oswald. "Weshalb also reden wir über prekäre Beschäftigung, als handle es sich dabei um eine neue Erscheinung?

Weil die Arbeitnehmer/innen heute nahezu überall Angriffen ausgesetzt sind, auch in einigen ihrer früher als völlig sicher geltenden Bastionen. Zentral ist dabei der Angriff auf unsere grundlegenden Rechte auf Vereinigung und Kollektivverhandlungen.

Auf der einen Seite wird die allgemeine Offensive gegen Beschäftigungsrechte von den internationalen Finanzinstituten angeheizt. Was uns auch immer über einen neuen humanen Anstrich der Weltbank und des IWF erzählt wird, die alten Auflagen gelten unverändert. Nur bleiben sie nicht mehr auf die Entwicklungsländer beschränkt, sondern gelten nunmehr auch für die Kernländer, die früher allein über das Geld verfügten, und werden als Reaktion des Kapitals auf die Krise mit neuer Energie verteidigt. Beschäftigungsverträge werden individualisiert und Kollektivrechte mit einem Federstrich beseitigt, wobei die Länder belobigt werden, die die allgemeine Verunsicherung am weitesten treiben.

Die zweite Stoßrichtung der Angriffe gilt der Beseitigung direkter, unbefristeter Beschäftigungsverträge. Direkte Dauerbeschäftigungen verschwinden und werden zunehmend durch "Zeit"verträge ersetzt, die sich in Wirklichkeit über Jahrzehnte oder das ganze Arbeitsleben erstrecken können; oder aber durch Auslagerungen und Leiharbeitsverträge, die das wirkliche Beschäftigungsverhältnis und damit die Machtverhältnisse am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft verschleiern; durch "Saison"verträge, die für das ganze Jahr gelten und alle Jahreszeiten in einem einzigen Betrieb vereinigen; durch sogenannte "Selbständigkeits"regelungen, die aus Lohnempfängern/innen "Vertragsnehmer/innen" machen; durch Arbeit auf Abruf oder durch vorgebliche "Lehren", die häufig euphemistisch als "lebenslanges Lernen" bezeichnet werden.

In reichen und armen Ländern, in immer mehr Betrieben, sei es auf Plantagen, in Fabriken, Hotels, Büros oder Labors gibt es immer weniger Arbeitnehmer/innen, die über ihre Gewerkschaften mit ihrem Arbeitgeber verhandeln können, und immer mehr Arbeitnehmer/innen, denen dieses Recht verweigert wird, weil mit legalen Tricks dafür gesorgt worden ist, dass ein anderer als ihr wirklicher Arbeitgeber ihre Löhne zahlt. Und es gibt immer mehr Unternehmen, die keine Arbeitnehmer/innen beschäftigen und deshalb keine Verantwortung als Arbeitgeber tragen, weil jene, die die Arbeit verrichten, mit der ihre Gewinne erzielt werden, ausgelagert oder nach US-amerikanischer Terminologie an einen Personaldienstleister "vermietet" wurden.

Diese massive Verletzung von Rechten wird zuweilen als eine "Herausforderung", als "Flexibilitätsherausforderung" oder mit ähnlichen Formulieren bezeichnet, die die Wahrheit verschleiern sollen. Die Verweigerung von Rechten und die Zersetzung der Arbeit gehen Hand in Hand mit einer gezielten Zersetzung der Sprache. Prekäre Beschäftigung ist jedoch keine Herausforderung, sondern sie stellt einen präzis geplanten Angriff dar."

Oswald forderte die IAO auf, darauf hinzuarbeiten, "dass die Übereinkommen 87 und 98 wieder ihre wahre Bedeutung gewinnen, eine Bedeutung, die durch die Ausbreitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse allmählich ihres Inhalts beraubt wurde."

Die ersten drei Tage des Symposiums boten den Gewerkschaftsvertretern/innen die Möglichkeit, in Gruppen- und Plenardiskussionen die Triebkräfte hinter der Ausbreitung der prekären Beschäftigung aufzuzeigen und Erfahrungen und Strategien zu ihrer Bekämpfung zu vergleichen. In Referaten des ITUC und der globalen Gewerkschaftsbünde IMB, IUL, ICEM und BHI wurden Programme und Kampagnen geschildert, mit denen Organisierungs- und Verhandlungsrechte für Gelegenheitsarbeiter/innen gewonnen werden sollten. Peter Rossman vom IUL-Sekretariat hob die Finanzdynamik, die diesen Prozess antreibt, sowie die Notwendigkeit hervor, dass Gewerkschaften im Rahmen von Kollektivverhandlungen das vollständige Aufdecken von Leih- und Gelegenheitsarbeiterzahlen sowie von Auftragsherstellern und Dienstleistungserbringern fordern. Das Recht auf diese Information sei nach den Kernübereinkommen der IAO grundsätzlich gesichert.

Hervorragende Referate von Sachverständigen des Internationalen Arbeitsamtes für Normen und die laufende juristische Arbeit der IAO zu Gelegenheitsbeschäftigungen machten deutlich, wo aufgebaut werden kann und wo noch Lücken der Schutzvorkehrungen bestehen, da die geltenden Übereinkommen in vielen Fällen weder in der Praxis noch in Bezug auf die juristische Auslegung genügend detailliert seien, um die Konsequenzen von Dreiecksverhältnissen in der Beschäftigung zu berücksichtigen. Um Arbeitnehmer/innen und ihr Vereinigungs- und Kollektivverhandlungsrecht zu verteidigen, müssten die geltenden Übereinkommen gegen Angriffe von Seiten der Arbeitgeber und der Regierungen geschützt werden, doch erfordere ihre Umsetzung unter den veränderten Rahmenbedingungen darüber hinaus auch ihre umfassendere Nutzung, beispielsweise durch Klagen an den IAO-Ausschuss für Vereinigungsfreiheit. Ein solches Vorgehen erfordere Organisierungsarbeit und Kampf.

Am letzten Tag des Symposiums - dem Welttag für Menschenwürdige Arbeit - konnten die Teilnehmer/innen an einer Demonstration teilnehmen, die von der schweizerischen Gewerkschaft Unia bei den Vereinten Nationen organisiert wurde, um auf den anhaltend unzulänglichen rechtlichen Schutz Schweizer Gewerkschafter/innen hinzuweisen.

Anschließend zogen die Teilnehmer/innen wieder in das Internationale Arbeitsamt, wo die Schlussfolgerungen des Symposiums Vertretern der IAO vorgelegt wurden. Die Tagung machte der IAO eindeutig klar, dass die prekäre Beschäftigung zum Kern ihrer Tätigkeiten auf dem Gebiet der Arbeitnehmerrechte werden müsse. In den Schlussfolgerungen heißt es: "Arbeitnehmer/innen in prekären Beschäftigungsverhältnissen leiden unter unzulänglichen Arbeitsbedingungen in Bezug auf alle Aspekte ihrer Arbeit: Sicherheit, Vorhersehbarkeit, Arbeitsschutz, Löhne und Leistungen sowie Zugang zur sozialen Sicherheit. Die Ausbreitung der prekären Beschäftigung ist Teil eines Phänomens, das durchaus als weltweiter Angriff der Unternehmen gegen das Vereinigungs- und das Kollektivverhandlungsrecht bezeichnet werden kann, indem zu Fremdvergaben und Einzelverträgen übergegangen, gegen Tarifverhandlungen auf Branchen- und Landesebene vorgegangen und die Verantwortung des Arbeitgebers dort umgangen wird, wo es sich eigentlich um ein direktes Beschäftigungsverhältnis zu den Arbeitnehmern/innen handeln sollte."

In den Schlussfolgerungen wurde die IAO konkret aufgefordert, einen umfassenden Bericht über Gesetzgebung und Praxis zu erstellen und eine Sachverständigentagung der IAO über Hindernisse für die Organisierung und die Kollektivverhandlungen für Arbeitnehmer/innen in prekärer Beschäftigung einzuberufen sowie die Ausarbeitung geeigneter Urkunden zu prüfen, die die Einführung prekärer Beschäftigungsformen beschränken und vermindern.



Link:  ILO documents

 
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