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Referendum in Venezuela
16.02.2009 | 19:42 Uhr

Azzellini-Info Februar 2009 - www.azzellini.net
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Verfassungsänderung mit 54,36% der Stimmen akzeptiert

Nach dem ersten amtlichen Wahlergebnis gewann am gestrigen Sonntag, dem 15. Februar, in einer Volksabstimmung in Venezuela das Ja dazu in allen gewählten Ämtern die bisherige Beschränkung auf zwei Amtszeiten
aufzuheben mit 54,36% der Stimmen. Der Nationale Wahlrat CNE, in
Venezuela eine fünfte autonome Macht, gab das vorläufige Ergebnis um
21.35 Ortszeit, nach Auszählung von 94.2% der Stimmen bekannt. Das Nein
kam im Gegenzug auf 45,63%. Die Wahlbeteiligung lag bei 67,05%.

Die Verbot nach zwei aufeinanderfolgenden Amtszeiten für den/die
Präsidenten/in, die Gouverneure und BürgermeisterInnen sowie die
Abgeordneten der Nationalversammlung und der Regionalversammlungen
erneut für das gleiche Amt zur Wahl anzutreten ist in der Verfassung
enthalten. Mit der Änderung gilt nun die gleiche Regelung wie z.B. in
Deutschland, wo alle beliebig oft als Kandidaten für das gleiche Amt
antreten können.

Warum also die ganze Aufregung auch international? In den meisten
anderen Ländern dieser Welt werden Verfassungen und wesentlich
gravierendere Verfassungsänderungen in Parlamenten entschieden. In
Venezuela wurde die Verfassung von der Bevölkerung 1999 in einem
Referendum ratifiziert und deswegen gibt es auch zu Änderungen ein
Referendum. Aber hier es ging um Chávez. Es war die Angst der Opposition
im Land und international einem Kandidaten Chávez für das Präsidentenamt
auch im Jahr 2012 keinen eigenen Kandidaten mit Aussicht auf Erfolg
entgegensetzen zu können. Daher die enorme Propagandaflut national und
international. Die Opposition im Land und ihre ganze Kampagne war "gegen
endlose Wiederwahl" oder "ewige Präsidentschaft" gerichtet, um so den
Eindruck zu erwecken Chávez würde damit zum Präsidenten auf Lebenszeit
ernannt.

Genügend Ereignisse im Vorfeld wurden versucht international gegen
Chávez aufzubauen. So etwa der Angriff und die Schändung der
Hauptsynagoge in Caracas durch ein Dutzend bewaffneter vor etwa zwei
Wochen. Sogleich hieß es seien bewaffnete chavistische Horden gewesen,
die Regierung sei verantwortlich gewesen für den Anschlag... Die
Regierung verurteilte den Anschlag gleich zutiefst. Die Ermittlungen
führten bereits vor einer Woche zu der Festnahme nahezu aller
vermeintlich Tatbeteiligter. Es handelte sich um eine Gruppe von
mehrheitlich Polizisten, darunter die ehemalige Leibwache des Rabbi. Der
Überfall sollte der Geldbeschaffung dienen, die Schändungen den Verdacht
umlenken. Verbindungen zur Regierung oder zu Linken hatten sie keine.
Weitere Hintergründe werden noch untersucht. Der Überfall war sofort von
der US-Regierung genutzt worden um Besorgnis "über den Antisemitismus in
Venezuela auszudrücken".

Zwei Tage vor dem Referendum organisierte der rechtsradikale spanische
PP-Abgeordnete des EU-Parlaments Luis Herrero eine Medienshow: Er war
als Wahlbeobachter akkreditiert und durfte demnach keine
parteipolitischen Äußerungen oder Kommentieren des Wahlprozesses vor
Ende des Referendum abgeben. Herrero beschimpfte öffentlich vor Kameras
Chávez als Diktator und diskreditierte den Wahlrat und den Wahlprozess
bereits im Vorfeld als zweifelhaft. Der Wahlrat beantragte daraufhin
seine Ausweisung aus dem Land. Obwohl alles sehr höflich verlief und
Herrero selbst noch in Caracas dabei gefilmt wurde, wie er am Telefon
dritten gegenüber erklärte er sei respektvoll behandelt worden, wurde
daraus bei sei Ankunft in Spanien "eine Entführung durch ein
diktatorisches Regime". Herrero kann froh sein kein Marokkaner oder
Schwarzafrikaner in Ceuta oder Melilla zu sein. Die Abschiebemodalitäten
der EU sind sicher um einiges "unfreundlicher", massiver und häufiger...

Und schließlich hieß es im In- und Ausland die gesamte Zeit der gleiche
Vorschlag einer Verfassungsänderung sei bereits vor einem Jahr in einer
Volksabstimmung abgelehnt worden. Auch das ist falsch. Im Dezember 2007
verlor ein Vorschlag 69 Artikel der Verfassung zu reformieren knapp. In
nur einem ging es um die Möglichkeit der erneuten Kandidatur und sie
betraf nur das Präsidentenamt.

Auch die deutschsprachige Presse gab sich in fast ganzer Breite für die
Lügenkampagne her.

In der Wiener Zeitung halluzinierte eine "Christine Leitner" von einer
Verfassungsänderung, "die Präsident Hugo Chavez den lebenslangen
Verbleib in seinem Amt ermöglichen würde" und in einem anderen Beitrag
suggerierte Frau Leitner selbst nachdem der Überfall auf die Synagoge
schon aufgeklärt war, der Angriff habe etwas mit der Politik der
Regierung Chávez zu tun.

Ins gleiche Horn, doch noch viel dreister gelogen, blies ein Martin
Polansky, der für angeblich seriöse Medien wie Tagesschau,
Deutschlandradio, Süddeutsche Zeitung, NDR und diverse andere Medien in
seinen Artikeln das zusammenkritzelte was im die rechtsradikale
Propagandamaschinerie vorgab und dazu selbst noch log, wie es kaum
intensiver ging. "Abstimmung zu «Chavez forever»" titelte die
tagesschau, "Staatschef Chávez will sich beliebig oft wählen lassen" war
da zu lesen und "Chávez' Anhänger zeigen sich zunehmend militant. [...]
Eine Synagoge wurde verwüstet, nachdem Venezuela wegen des Gaza-Krieges
den israelischen Botschafter des Landes verwiesen hatte". Solche
Propaganda hat ja in Deutschland Tradition...

Im österreichischen Standard und einigen deutschen Dorfzeitungen durfte
wie immer die rechte Märchentante Sandra Weiss an die Feder und die
wusste gleich, um was es bei dem Referendum ging "die Ausdehnung seiner
Amtszeit" (von Chávez). Die Deutsche Welle titelte: "Unendliche Amtszeit
für Präsident Chavez?"; euronews: "Lebenslange Amszeit für Chávez?"; die
Welt wusste: "Hugo Chavez strebt "ewige" Präsidentschaft an"; das
Polit-porno-Magazin Focus wusste von dpa: "Referendum über unbegrenzte
Amtszeit für Hugo Chávez begonnen". Das Zentralorgan für kulturell
interessierte und arrogante nationaldeutsche Eliten, "die Zeit",
titelte: "Unbegrenzte Wiederwahl für Chávez?".

Der Schmierfink Andreas Fink, der sich schon lange mehr der Tradition
der Gebrüder Grimm verschrieben fühlt, als er mit dem Beruf eines
Journalisten gemein hat, gewann den goldenen Schwätzer mit "Chávez will
am liebsten bis 2049 im Amt bleiben" in "die Presse". In der FAZ ist es
der alte reaktionäre Hetzer Josef Oehrlein mit dem die Phantasie
durchgeht und der offensichtlich unter Drogeneinfluss (die Alternativen
wären er ist wirklich so dumm oder er lügt absichtlich entgegen seiner
ethischen Verpflichtung als Journalist...) zu berichten weiß, wenn
Chávez das Referendum verliere, "dass er dann eine verfassunggebende
Versammlung einberufen könnte, die ihm eine ganz neue Magna Charta
maßschneidert und ihm vielleicht sogar gleich die „einmalige“ Wiederwahl
auf Lebenszeit ermöglichen könnte."
Das soll hier erst einmal reichen.

Die Bevölkerung hat sich offensichtlich nicht verwirren lassen von der
massiven Propaganda. Schauen wir auf das Ergebnis in konkreten Zahlen.
Nach Auszählung von 94,2% der Stimmen, wählten 6.003.544 für das Ja und
5.040.082 gegen die Verfassungsänderung.

Im Vergleich zu den Regionalwahlen im November 2008 gelang es den Chávez
unterstützenden Kräften über eine halbe Million mehr WählerInnen zu
mobilisieren, im November waren es noch 5.527.905 Stimmen für die
PSUV-KandidatInnen und dissidente Kandidaten, die den Prozess
unterstützen, gewesen.
Gegenüber dem verlorenen Referendum zur Verfassungsänderung im Dezember
2007 gewannen Chávez und Unterstützer etwa 1,7 Millionen Stimmen hinzu
(damals waren es 4.379.392 Stimmen zu Gunsten der Verfassungsreform
gewesen).
Die Opposition gewann aber auch mehr als eine Million Stimmen mehr als
bei den Regionalwahlen 2008 (3.948.912) und mehr als bei der Ablehnung
der Verfassungsreform 2007 (4.504.354)

Die Opposition hüllte sich nach dem verlorenen Referendum in Schweigen
und verkündete nur kurz und knapp das Ergebnis anzuerkennen. Sie hatte
sich wohl mehr erhofft... Nach dem relativen Erfolg bei den
Regionalwahlen in November hatte sie tatsächlich geglaubt das Referendum
gewinnen zu können. Nun heißt es wunden lecken, mit Chávez als
möglichern Kandidaten der Präsidentschaftswahlen 2012 kommt keine Freude
in den Reihen der Opposition auf. Angesichts dieser aussichten ist es
nicht unwahrscheinlich, dass die Opposition wieder verstärkt versucht
Chávez gewaltsam zu stürzen.

Dabei sollten die über 5 Millionen Stimmen für die Opposition zu denken
geben. Es ist immerhin die höchste absolute Stimmenzahl, die die
Opposition jemals bekommen hat und selbst dann beträgt der Abstand zum
Chávez-Lager fast 10% der Stimmen). Auch wenn sich im Endeffekt wieder
gezeigt hat, Wahlergebnisse in Venezuela hängen wesentlich davon ab, ob
sich die Basis der Chávez-Anhänger mobilisieren lässt oder nicht.
Vielleicht ist das Ergebnis auch nicht so klar und einfach zu deuten wie
häufig angenommen. Es könnten auch viele Angehörige des rechten
Spektrums des bolivarianischen Prozesses für Nein gestimmt oder sich
enthalten haben, immerhin gibt es da einige, denen eine erneute
Kandidatur des "linksradikalen" Chávez nicht schmeckt. Bei einem Teil
der Bevölkerung wirkte die Oppositionskampagne sicherlich, noch vor zwei
Wochen konnte ich in Venezuela auf der Straße Leute hören, die sich
besorgt gegen eine "ewige Präsidentschaft" aussprachen. Einige linke
Splittergruppen äußerten sich ebenfalls gegen das Referendum, da sie es
"für die Revolution nicht als zentral" ansahen.

Der Sieg im Referendum ist für die bolivarianische Bewegung sicher ein
bedeutender Sieg. Die hohe Stimmenanzahl, der klare Abstand, gibt nach
dem verlorenen Referendum und den Teilverlusten bei den Regionalwahlen
wieder Kraft und Sicherheit. Es ist auch ein Raum entstanden sich in
aller Ruhe (ohne die Sorge um den nächsten Präsidentschaftskandidaten)
dem gesellschaftlichen Transformationsprozess zu widmen. Trotz alledem
ist hier auch eine zentrale Schwäche des Prozesses deutlich geworden:
Nach zehn Jahren ist es immer noch nicht gelungen eine kollektive
Leitung aufzubauen und es gibt immer noch niemanden, der die Integrität,
die Glaubwürdigkeit und das politische Format von Chávez besitzt.

Auf den Feiern am Präsidentenpalast in der Nacht kündigte Chávez an das
Jahr 2009 solle nun genutzt werden die bisherigen Erfolge zu
konsolidieren und zu stärken, vor allem den begonnenen Aufbau des
Rätesystems von unten und die Sozialprogramme und rief erneut dazu auf
alles was getan wird noch einmal zu prüfen: "revisión, rectificación,
reimpulso" (Überprüfung, Richtigstellung und einen neuen Impuls geben).
Darum muss es jetzt gehen: Um den weiteren Aufbau des Poder Popular, der
"Volksmacht" auf der Grundlage eines Rätesystems.


Dario Azzellini

Link:  http://www.azzellini.net

 
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