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Sicherheitskosmetik
19.07.2009 | 21:54 Uhr

Militär in Lateinamerika

Editorial ila 326 Juni 2009

Seit die Militärdiktaturen in den achtziger und frühen neunziger Jahren in Lateinamerika abgelöst wurden und die Streitkräfte sich wieder in die Kasernen zurückzogen, wird in der entwicklungspolitischen Szene und der Menschenrechtsbewegung kaum noch über das Militär in Lateinamerika gesprochen. Die schlimme Rolle, die die Institution Militär noch vor wenigen Jahren in vielen Gesellschaften spielte und teilweise bis heute noch spielt, wird wenig reflektiert bzw. auf individuelle Übergriffe reduziert. Einzelne Offiziere stehen mancherorts wegen ihrer Verbrechen während der Diktaturen vor Gericht, doch eine öffentliche Debatte darüber, welche Rolle die Streitkräfte künftig spielen sollen und wie verhindert werden kann, dass es in Krisensituationen wieder zu Staatsstreichen des Militärs kommt, wurden bisher kaum geführt.

Nur in einigen Ländern, wo es derzeit wichtige politische Veränderungsprozesse gibt, entsteht gerade eine Diskussion über die Aufgaben der Streitkräfte in einer demokratischen Gesellschaft.
Den Militärs reicht es offensichtlich nicht, sich auf die traditionellen militärischen Aufgaben der Landesverteidigung zu beschränken. Sie sehen neue Herausforderungen und Konflikte. Um sich dafür fit zu machen, übernehmen sie immer häufiger zivile Aufgaben oder binden Nichtregierungsorganisationen in ihre militärischen Aktionen ein. Das Ganze nennt sich zivil-militärische Zusammenarbeit oder auch „vernetzte Sicherheit“. In deren Rahmen werden Brunnen gebohrt, Impfkampagnen durchgeführt, Straßen und Wege gebaut. Auf diese Weise soll Sympathie für die Streitkräfte und ihre Militäraktionen geweckt werden, sowohl bei der ortsansässigen Zivilbevölkerung und – mindestens genauso wichtig – in der medialen Kriegspropaganda.

So wiederholen deutsche Fernsehkanäle gebetsmühlenhaft, die Deutschen seien in Afghanistan beliebt, weil die Bundeswehr im Norden vor allem Aufbauhilfe leiste, während die US-Truppen im Süden Krieg führten. Natürlich führt auch die Bundeswehr Krieg. Ihre Soldaten sind keine bewaffneten Sozialarbeiter, sondern kämpfende Einheiten, die einen Teil Afghanistans besetzt halten. Dass Hilfsorganisationen heute in Nordafghanistan unter dem Schutzschild der Bundeswehr arbeiten, macht aus der Militäraktion keine Entwicklungshilfe, sondern macht vielmehr die Arbeit der Hilfsorganisationen zu einem integrierten Bestandteil der militärischen Strategie.

Daher ist es sehr zu begrüßen, dass zwei wichtige Entsendeorganisationen für Fachkräfte in der Entwicklungszusammenarbeit, der Evangelische Entwicklungsdienst (EED) und die katholische Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe (AGEH) kürzlich ein Positionspapier vorgelegt haben, in dem sie betonen, dass der zivile Friedensdienst sich strikt von militärischen Akteuren abgrenzen und auf Distanz zu Projekten der zivil-militärischen Zusammenarbeit gehen müsse.

Auch in Lateinamerika steht die zivil-militärische Zusammenarbeit derzeit hoch im Kurs. Vor allem im kolumbianischen Binnenkonflikt setzt das Militär zunehmend auf eine Strategie der „integralen Aktion“. Dazu gehören soziale und gesundheitliche Projekte in Konfliktzonen genauso wie Propagandaevents, wie etwa kürzlich ein von der Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützter Militärkongress in der Hauptstadt Bogotá, wo Militärs mit der Zivilgesellschaft über ethische Fragen parlierten, während militärkritische Gruppen in Kolumbien massiv unter Druck stehen.

Die US-Strategie für Lateinamerika, die zunehmend von den US-Militärs formuliert und umgesetzt wird, setzt entschlossen auf die zivil-militärische Zusammenarbeit bei den „Herausforderungen“ des 21. Jahrhunderts. Dazu zählen sie etwa die Bekämpfung des Drogenhandels, die Kontrolle der Ressourcen, die Begrenzung der Migrationsströme oder die Jugendkriminalität. Die US-Seite möchte in diesen Themenfeldern die lateinamerikanischen Streitkräfte in ihre Konzepte einbauen, während es in Lateinamerika erstmalig Versuche einer Militärkooperation gibt, die sich von den US-Vorgaben unabhängig macht.

Neben der hier geschilderten Kombination von sozialen Projekten und Militäraktionen gewinnt noch eine ganz andere Form der zivil-militärischen Zusammenarbeit zunehmend an Bedeutung, nämlich die Übernahme militärischer Aufgaben durch private Unternehmen. In den Kriegen in Afghanistan und im Irak greifen US-Truppen verstärkt auf private Söldnerfirmen zurück, deren Mitarbeiter u. a. Wachdienste, Personenschutz, Aufklärung oder Verhöre übernehmen. Von dieser Entwicklung ist Lateinamerika gleich doppelt betroffen: Zum einen werben US-amerikanische und britische Sicherheitsunternehmen verstärkt Söldner in Lateinamerika an. Dabei interessieren vor allem ehemalige Militärs, die sich bestimmte „Spezialkenntnisse“ wie Aufstandsbekämpfung oder Verhörtechniken erworben haben.

Zum anderen agieren diese Sicherheitsunternehmen auch in Lateinamerika.
Das Thema Militär bietet also viel Stoff zur Diskussion. In der vorliegenden Ausgabe haben wir eine Reihe interessanter Beiträge zusammengestellt, die den Fragen nachgehen, wo Lateinamerikas Armeen heute stehen, wie sie ihre gesellschaftlichen Rolle sehen und welche Funktion ihnen von den internationalen Mächten zugewiesen werden.



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