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Das neue Gentechnikgesetz verzögert sich.
06.07.2006 | 11:10 Uhr

Minister Seehofer sucht Ausgleich zwischen Industrielobby und Widerständen auch in der eigenen Partei.

Bisher galt Horst Seehofer (CSU) für die Lobby der Agrar- und Lebensmittelindustrie als Idealbesetzung in seinem jetzigen Amt. Als Bundesminister für Landwirtschaft und Verbraucherschutz zeichnet er unter anderem für ein Verbraucherinformationsgesetz verantwortlich, das eher der Abschottung der Behörden und Hersteller vor unliebsamen Fragen als der Transparenz dient. Und mit der forschen Zulassung von genmanipulierten Maissorten für den Versuchsanbau bereits kurz nach seinem Amtsantritt hatte er bei der Genlobby hohe Erwartungen in ein neues Gentechnikgesetz geweckt.

Doch die scheint der Minister nicht hundertprozentig erfüllen zu wollen, und das aus gutem Grund. Besonders in seiner eigenen Partei, die traditionell der bäuerlichen Landwirtschaft verbunden ist, gibt es wachsenden Widerstand gegen die unkontrollierte Verbreitung gentechnisch veränderter Organismen (GVO), da eine breite Mehrheit der deutschen Verbraucher Lebensmittel mit GVO-Anteilen strikt ablehnt und die landwirtschaftlichen Produzenten berechtigterweise Angst davor haben, GVO-kontaminierte Produkte nicht absetzen zu können. Auch die vielfältigen Aktivitäten von Gentechgegnern dürften ihren Teil zu der partiellen Umorientierung beigetragen haben. Aktionen zur »freiwilligen Feldbefreiung« finden bundesweit viele Unterstützer, und der Druck von Organisationen wie Greenpeace hat schon so manchen Lebensmittel- und Einzelhandelskonzern aus Angst vor Umsatzrückgängen zu der »Einsicht« gebracht, auf die Produktion bzw. den Verkauf nicht gentechfreier Produkte zu verzichten.

Seehofer schlägt daher nach seiner vollmundigen Ankündigung vom Dezember, dem Gentechnikanbau in Deutschland zum Durchbruch zu verhelfen, nun vorsichtigere Töne an. Ein wirtschaftlicher Nutzen für Bauern und Lebensmittelproduzenten durch den Anbau von Genpflanzen sei für ihn nicht erkennbar, sagte der Minister in mehreren Interviews. Seine angekündigte Offensive will er jetzt auf Forschungsvorhaben beschränken.

Das von ihm für Anfang Mai angekündigte Eckpunktepapier für ein neues Gentechnikgesetz ist den Koalitionsspitzen und dem Kabinett bis heute noch nicht offiziell vorgelegt worden. Dies soll entgegen den bisherigen Planungen erst nach der Sommerpause geschehen. Der Entwurf, der mehreren Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen vorliegt, beinhaltet zwar keine Kehrtwende, deutet bei einzelnen strittigen Fragen ein gewisses Zurückrudern an. So soll das Standortregister für Freilandversuche mit GVO, das Seehofer ursprünglich abschaffen wollte, auch künftig verbindlich bleiben. Das bedeutet, daß Anwohner und benachbarte Landwirte auch in Zukunft ermitteln können, auf welchen Feldern Gentechgemüse oder -getreide angebaut wird. Auch in der Haftungsfrage kommt es zu keinem Rollback. Es bleibt bei dem Prinzip, daß derjenige, der gentechnisch manipulierte Pflanzen anbaut, für mögliche Schäden haftet. Als Schaden gilt beispielsweise die durch Pollenflug ausgelöste Verunreinigung konventionell angebauter Kulturen, wenn mehr als 0,9 Prozent der Samen dieser Pflanzen durch Spontankreuzung genetische Veränderungen aufweisen. Betriebe, die sich auf zertifizierte gentechnikfreie oder biologische Produktion verlegt haben, können auch für Verunreinigungen unterhalb dieser Grenzwerte Schadensersatz verlangen. Das soll nicht nur für Lebens-, sondern auch für Futtermittel gelten.

Doch für Greenpeace und auch den BUND ist das wenig mehr als ein taktisches Manöver. Greenpeace-Gentechnikexperte Henning Strodthoff wies gegenüber jW darauf hin, daß die Haftung nach dem neuen Gesetz in wesentlich weniger Fällen greifen würde als bisher. In einer BUND-Stellungnahme zu den Eckpunkten heißt es, das Papier »stellt die Interessen der Forschungs- und Industrielobby über die Interessen der Landwirte und Verbraucher, die weiter ohne Gentechnik produzieren bzw. sich weiter ohne Gentechnik ernähren wollen«. Es sei ein Freibrief »für eine allumfassende gentechnische Verunreinigung«. Anzustreben sei dagegen aufgrund der bekannten Risiken von Genfood eine »Nullkontamination«.

Die Lobbyisten der Gentechindustrie wittern jedoch bereits angesichts der minimalen Zugeständnisse Seehofers an die Kritiker Verrat. Die FDP-Agrarexpertin Christel Happach-Kasan warf dem Minister in der Berliner Zeitung (Dienstagausgabe) vor, er würde die Vorbehalte von Verbrauchern bestärken und habe nicht den Mut, die Bedenken seiner Partei gegen die grüne Gentechnik auszuräumen. Die Politikerin forderte unter anderem einen einheitlich hohen Verunreinigungsschwellenwert von 0,9 Prozent. Generell müsse die »technisch unvermeidliche« Befruchtung von konventionellen Pflanzen mit genveränderten Pollen aus Freisetzungsversuchen »toleriert und nicht als illegal bewertet werden«.

Auch Vertreter der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, die sich seit langem als Speerspitze der Genlobby gerierten, stoßen in dieses Horn. Die Inkriminierung von Auskreuzungen im Rahmen von Freilandversuchen stelle »ein zentrales Hindernis für Forschung dar«, heißt es in einer Erklärung. Verlangt werden auch »unbürokratische Genehmigungsverfahren« und die Geheimhaltung der Versuchsstandorte.


Rainer Balcerowiak , jW



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