Erst werden Arbeitsplätze aus dem »teuren« Westeuropa in Billiglohnländer verlagert, dann bietet man den Entlassenen an, ihren Jobs hinterherzureisen. Klingt wie ein schlechter Witz, ist aber ernst gemeint: Der deutsche Reifenhersteller Continental hat den Anfang des Jahres entlassenen Arbeitern seines Werks im nordfranzösischen Clairoix vorgeschlagen, für 137 Euro monatlich in Tunesien weiterzuarbeiten. Den Mitarbeitern seien gemäß den arbeitsrechtlichen Vorschriften freie Stellen in einem tunesischen Continental-Werk angeboten worden, sagte ein Unternehmenssprecher, einem Bericht der Tageszeitung Le Figaro vom Dienstag zufolge. Der örtliche Gewerkschaftssekretär Xavier Mathieu von der CGT bezeichnete das Angebot als »Provokation« und »zynisch«. »Nicht einmal die Tunesier wollen diese Arbeitsplätze«, zitierte ihn das Blatt. »Ein derartiger Zynismus spricht Bände über die Verachtung der Continental-Spitze gegenüber ihren Beschäftigten«, erklärte Marie-George Buffet, Generalsekretärin der Kommunistischen Partei Frankreichs. Der Staat, »der dieses Ganovenunternehmertum gewähren läßt«, müsse »auf diese indiskutable Affäre reagieren«.
Ein Unternehmenssprecher von Continental verteidigte das Angebot dem Bericht zufolge: »Wir sind dazu verpflichtet, innerhalb des Konzerns jeden verfügbaren Platz anzubieten, wenn die berufliche Qualifikation vorhanden ist und es keine Sprachbarrieren gibt.« Er verwies dabei auf ein Urteil gegen den französischen Sockenhersteller Olympia vom Mai vergangenen Jahres. Das Unternehmen war dazu verurteilt worden, entlassenen Mitarbeitern 2,5 Millionen Euro Entschädigung zu zahlen, weil es ihnen keine Weiterbeschäftigung in seinem Werk in Rumänien angeboten hatte.
In der Konzernzentrale in Hannover wollte man sich gestern zu dem Vorgang zunächst nicht äußern. »Wir haben das auch irgendwo gelesen«, so eine Mitarbeiterin der Kommunikationsabteilung auf Nachfrage. Kurz vor Redaktionsschluß dann der Rückruf: Man habe den Mitarbeitern »nicht nur Arbeitsplätze in Tunesien angeboten, sondern auch in Deutschland, der Schweiz, Tschechien und Rumänien«, versicherte Konzernsprecher Hannes Burghoff. Damit habe man schlicht der französischen Rechtslage Genüge getan, »deren Sinnhaftigkeit ich hier nicht kommentieren möchte«.
Gegen die Schließung des Continental-Werks in Clairoix hatte es monatelange, massive Proteste gegeben. Wütende Beschäftigte beschädigten dabei im April 2009 auch Teile der Fabrik und Behördengebäude. Sechs von ihnen wurden deswegen zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, die aber in zweiter Instanz zu einer Geldstrafe abgemildert wurde. Auch wenn die Arbeitnehmer die Schließung des Werkes nicht verhindern konnten, erkämpften sie sich eine zusätzliche Abfindung von 50000 Euro.
Continental hatte die Schließungspläne vor einem Jahr bekanntgegeben. Die französischen Mitarbeiter beauftragten daraufhin eine Unternehmensberatung mit der Erstellung eines Gutachtens. Die Firma kam darin zu dem Schluß, die Wettbewerbsfähigkeit des Autozulieferers sei »nicht bedroht«. Vielmehr wolle er sein selbsterklärtes Ziel umsetzen, knapp zwei Drittel der Reifen für Autos und Kleinlaster in Billiglohnländern herstellen zu lassen. Die Schließung des Werks in Clairoix komme drei Continental-Werken in der Slowakei, in Rumänien und in Tschechien zugute, hieß es in dem Schreiben der französischen Beratungsfirma Secafi-Alpha.
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