Die ökologischen Schulden der Industrieländer
20.11.2013 BERLIN
Zu den aktuellen Auseinandersetzungen zwischen Ecuador und dem Erdölkonzern Chevron befragte german-foreign-policy.com den Botschafter der Republik Ecuador in Deutschland, Jorge Jurado. german-foreign-policy.com: Herr Botschafter Jurado, worum geht es beim Streit zwischen Ecuador und Chevron?
Jorge Jurado: Genau genommen geht es heute um einen Rechtsstreit zwischen dem Unternehmen Chevron, das seinen Hauptsitz in den USA hat, und einer zivilgesellschaftlichen Organisation der von den Umweltschäden betroffenen Ecuadorianer. Dieses transnationale Unternehmen hat 2001 Texaco übernommen und stellt gegenwärtig die zweitgrößte Erdölfirma der USA und die siebtgrößte der Welt dar. Texaco arbeitete zwischen 1964 und 1992 in Ecuador. In dieser Zeitspanne war Texaco für das Auslaufen von 71 Millionen Liter an Erdölrückständen und 64 Millionen Liter Rohöl auf mehr als zwei Millionen Hektar des ecuadorianischen Amazonas verantwortlich, wie ein Gerichtshof in Ecuador nach neun Jahren Gerichtsverfahren feststellte. Das Wasser, das die Bevölkerung trinkt, in der sie fischt und badet, ist hochgradig verschmutzt und die betroffene Bevölkerung fordert Entschädigung. Und zu Recht: Der Artikel 46 des Vertrags zur Erdölförderung, den Texaco und das staatliche Erdölunternehmen Ecuadors unterzeichneten, sah explizit vor, dass das multinationale Unternehmen sich verpflichtet, Technologien zu nutzen, die über Systeme zur sicheren Wiedereinleitung toxischer Abfallstoffe in tiefe Bodenschichten verfügen. Zum damaligen Zeitpunkt hatte das Unternehmen eine Technologie patentiert, welche die negativen Auswirkungen der Erdölförderung beträchtlich verringert; diese hatte sie bereits in den Vereinigten Staaten verwendet. Aber in Ecuador hat Texaco diese Technologie nicht angewendet, um höhere wirtschaftliche Gewinne zu erzielen.
Auch erfüllte Texaco seine Verpflichtung zur Umweltsanierung nicht: Das Unternehmen verdeckte hunderte von Becken voller toxischer Rückstände in Folge der Erdölförderungsmaßnahmen, indem sie diese mit einer Erdschicht bedeckte. Bis zum heutigen Tag verschmutzen diese Becken kontinuierlich den Boden und das Wasser des ecuadorianischen Amazonas.
gfp.com: Wer prozessiert nun, und was ist das Ergebnis?
Jurado: Im Jahr 1992 verließ Texaco Ecuador, und 1993 organisierte sich die betroffene Bevölkerung und gründete die Front zur Verteidigung des Amazonas, welche daraufhin gegen Texaco klagte, um Wiedergutmachung einzufordern. Ein erster Prozess begann im Jahr 1993 in den Vereinigten Staaten. Auf dieses Gerichtsverfahren nahm Texaco über zehn Jahre lang Einfluss. Texaco bestand darauf, den Fall auf ein ecuadorianisches Gericht zu übertragen; offenbar in der Annahme, die Justiz Ecuadors einfacher beeinflussen zu können als die Gerichte in den USA. Im Jahr 2002 bestätigten die US-amerikanischen Gerichte die Übertragung, und Chevron-Texaco verpflichtete sich, die Entscheidungen der Gerichte Ecuadors zu diesem Fall zu befolgen. Von da an nahm die Front zur Verteidigung des Amazonas einen Prozess in Ecuador auf, und als Ergebnis sprach ein ecuadorianischer Gerichtshof im Jahr 2011 das Urteil, dass Chevron 9,6 Milliarden Dollar zahlen und sich innerhalb der folgenden zwei Wochen öffentlich entschuldigen muss. Andernfalls würde die Summe verdoppelt. Chevron lehnte es ab, sich zu entschuldigen, weshalb der Richterspruch im Jahr 2012 bestätigt und das transnationale Unternehmen zur Zahlung von 19 Milliarden Dollar verurteilt wurde.
Am 12. November dieses Jahres bestätigte das ecuadorianische Kassationsgericht das Urteil aus dem Jahr 2011 und verurteilte Chevron letztinstanzlich zur Zahlung von 8.000.646.170 US-Dollar plus 10% als Wiedergutmachung direkt an die Front zur Verteidigung des Amazonas (insgesamt 9,5 Milliarden US-Dollar bzw. 7,07 Milliarden Euro).
|