Das Hotel Christopher war ein hässlicher fünfstöckiger Betonbau mitten in Portau- Prince. Bis zum frühen Nachmittag des 12. Januar war es das Hauptquartier der 12000 Uno-Helfer in Haiti. Im Hotel Christopher wurde am 12. Januar mein Freund Hedi Annabi von einer einstürzenden Betondecke erschlagen. Hedi Annabi war ein bescheidener, zurückhaltender Tunesier, voller Ironie, mit einer unbändigen Schaffenskraft und nie ermüdender Energie. Vor Jahrzehnten hatte er bei mir in Genf studiert. Später stieg er in der Uno bis zum stellvertretenden Generalsekretär auf. Im letzten Jahr übernahm er die Leitung der Uno-Mission in Haiti. Und wurde dort getötet. Verschüttet oder erschlagen wie 70 000 andere in diesem bitterarmen Land. Das ist der Stand eine Woche nach der Katastrophe.
IMMER WIEDER FRANKREICH. Während 250 Jahren war die Insel die reichste Zuckerkolonie Frankreichs. Dann, in einer Augustnacht 1799, standen die Sklaven auf. Nach sechs Monaten Kampf waren praktisch alle 30000 Weissen tot oder auf der Flucht. Napoleon schickte ein Expeditionskorps, das die Aufständischen zerschlugen. Paris verhängte daraufhin zusammen mit Grossbritannien eine Seeblockade, um Haiti auszuhungern. Bis sich der damalige haitianische Präsident Jean-Pierre Boyer verpflichtete, den enteigneten französischen Sklavenhaltern 150 Millionen Goldfranken Entschädigung zu bezahlen. Die mörderische Erpressung wurde 1825 unterschrieben. Bis 1883 zahlten die Haitianer den letzten Rappen ab. Auf Kosten der eigenen Entwicklung. Es folgten 120 Jahre Staatsstreiche, Bürgerkriege – und vor allem Elend, Unterernährung, Emigration.
PRIESTER ARISTIDE. Zu den grössten Halunken an der Macht gehörten die Duvaliers. Vater François übernahm 1957 die Präsidentschaft. Sein Sohn Jean-Claude folgte ihm 1971 und setzte die Familientradition bis 1986 fort: bedenkenlose Bereicherung bei grausamstem Machterhalt. Von den märchenhaften Summen, die die Duvaliers, vielfach mit Hilfe von Schweizer Banken und Liechtensteiner Stiftungen, im Ausland verschwinden liessen, sind heute noch knapp 8 Millionen Franken in der Schweiz identifiziert. Sie sollen nach einem Beschluss des Bundesgerichts an Haiti zurückgegeben werden. Die letzte Hoffnung war der schwarze Priester Jean-Bertrand Aristide, vom Missionsorden der Salesianer. Er wurde 1991 als erster reformwilliger Präsident gewählt, 1994 vom Militär gestürzt, 2000 von US-Präsident Bill Clinton wieder zurückgebracht. 2001 verlangte er von Frankreich die Rückerstattung der 150 Millionen Goldfranken. 2004 stürzte ihn der französische Geheimdienst. Am 12. Januar kam die letzte Katastrophe über das geplagte Inselland. Das haitianische Volk verlangt und verdient unsere totale, rasche, effiziente Solidarität.
Jean Ziegler ist Soziologe, Mitglied des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates, alt SP-Nationalrat und Autor.
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