:: BaSo News ::

Widerstand in Athen
21.05.2010 | 12:41 Uhr

Widerstand in AthenWer mit den SBB von Lausanne nach Genf fährt (wenn sie gerade einmal keine Panne haben), entdeckt kurz vor Genf im Dörfchen Bellevue die ultramodernen Büropaläste der Latsis- Gruppe. Sie liegen in einem wunderschönen Park. Die Familie Latsis besitzt dem Vernehmen nach das grösste Privatvermögen Griechenlands. Teilweise wird es aus der Schweiz verwaltet, teilweise aus Luxemburg. Dank dem Wohlwollen des Genfer Finanzministers David Hiller, eines Grünen, der von einer sozialistischgrünen Allianz gewählt wurde, zahlt Latsis in Genf Steuern: eine bescheidene Pauschalsteuer, genannt «forfait fiscal».

FLUCHTGELDER. Gemäss Schätzungen der Europäischen Zentralbank liegen in der Schweiz 36 Milliarden Euro unversteuerter Fluchtgelder griechischen Ursprungs. Diese Steuer- und Kapitalflucht ist permanent: Im Januar 2010 flossen griechische Fluchtgelder von drei, im Februar von fünf Milliarden Euro zu ausländischen Banken.
Derweil erlebt das griechische Volk eine Erpressung, wie sie in der jüngeren Geschichte unseres Kontinents einmalig ist. Ein Blick zurück: Während langer Jahre regierte in Athen die Clique um den scharf rechten Kostas Karamanlis. Als politischer Handlanger der griechischen Hochfinanz half er gewissenhaft bei der Plünderung des Landes. Beispiel: Die Gebühren und Ticketsteuern der griechischen Flughäfen wurden dank einem Geheimvertrag mit der New Yorker Investmentbank Goldman Sachs auf sechs Jahre hinaus verpfändet. Die aufgenommenen Millionenkredite verschwanden.

ERPRESSUNG. Als die sozialdemokratische Pasok im letzten Jahr die Wahlen gewann, belief sich das griechische Staatsdefizit auf 124 Prozent des Bruttoinlandproduktes. Giorgos Papandreou, der neue Ministerpräsident, ist ein glatzköpfiger Mann Ende Fünfzig, sanftmütig, freundlich, geduldig. Ihm gehen jetzt die europäischen Zentralbanker an die Gurgel. Denn das griechische Staatsdefizit bedroht den Euro. Das Sparprogramm, das dem griechischen Volk von der EU und dem Internationalem Währungsfonds (IWF) aufgezwungen wird, bedeutet Verarmung und Elend für einen grossen Teil des Volkes: Massive Steuererhöhung für Lohnabhängige, Streichung ganzer Sozialprogramme im Schul- und Spitalbereich, massive Senkung der Löhne, Entlassung tausender Beamter, quasi totale Privatisierung der öffentlichen Sektoren.
In ihrem Kern wirken EU und IWF als Söldnerorganisationen der westlichen Konzerne: Griechenland wird ihnen zu besten Konditionen übergeben. Aber es gibt mächtige Gewerkschaften in Griechenland. Und auch die europäischen Gewerkschaften schauen nicht nur zu. Spitzenvertreter, unter ihnen John Monks, Präsident des Europäischen Gewerkschaftsbundes, und Paul Fourier von der französischen CGT waren dieser Tage in Athen, um europaweit den gewerkschaftlichen Protest zu koordinieren. Ihnen und dem geplagten griechischen Volk schulden wir unsere energische Solidarität.


Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Sein jüngstes Buch, «Der Hass auf den Westen», erschien auf Deutsch im Herbst 2009.




 
vorige News
zurück zur Übersicht                              nächste News