Die Schulden Griechenlands sind viermal kleiner als die Billionen-Finanzspritze der EU. Das steckt dahinter. Von Oliver Fahrni
Sonnenklar, wer schuld ist: Die «Pleite- Griechen». «Ihr griecht (kriegt, Red.) nix von uns», pöbelte ein deutsches Blatt «Griechenlands Pleite-Premier » an. Die sollten doch ihre Inseln verkaufen, forderten CDU-Politiker. Sogar die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel giftete gegen Griechenland. Monatelang verhinderte sie ein rasches Eingreifen der EU. Nebenbei bescherte sie so den Anti- Euro-Spekulanten einen fetten Extraprofit. Etwa der Deutschen Bank.
DER LÜGENPOKER Auch hierzulande tönt das Geschwätz von «unserem Geld, das die Griechen verprassen» (ein Berner Lokalsender). Ausgerechnet der SVPBankenlobbyist Hans Kaufmann zeigte sich «empört» über die Beteilung der Schweiz an der EU-Hilfsaktion. Er drohte mit Widerstand im Nationalrat. Gerade der Ex-Banker Kaufmann müsste wissen, wie stark die Schweizer Wirtschaft von dem EU-Paket profitiert. Doch kaum ein Beobachter wunderte sich: Umgerechnet 30 Milliarden Franken griechischer Schulden werden demnächst fällig. Das Rettungspaket aber ist 35 Mal schwerer: 1050 Milliarden. Viermal die gesamten Schulden Griechenlands. Ein gigantischer Lügenpoker.
ERPRESSTE STAATEN Für einige Politiker lüftete sich das Rätsel der Euro-Krise schon vor zwei Wochen. Die Herren kamen kreidebleich aus dem Treffen mit der Nationalbank- Spitze. Es waren die Tage vor dem EU-Rettungsbeschluss. Die Lage der Welt, so hatten sie erfahren, sei vergleichbar mit jener im August 2007. Nur noch schlimmer. Am 9. August 2007 waren die internationalen Finanzmärkte zusammengebrochen. Denn jeder Bankkonzern verdächtigte alle anderen, kurz vor dem Bankrott zu stehen. Das war der Beginn der grossen Krise. Sie hat schon Millionen Arbeitsplätze gekostet. Jetzt geht sie gerade in ihre dritte Runde. Wie schon 2007 rechneten die Bankmanager in den ersten Maitagen 2010 mit dem gegenseitigen Bankrott. Hätten die europäischen Finanzminister am Wochenende des 9. Mai nicht gehandelt, wäre das System am Montagmorgen gegen die Wand gefahren. Der Grund waren nicht die griechischen Staatsschulden. Die Staatsanleihen sind gut verteilt. Doch die Bankenmultis haben kräftig gegen Griechenland und den Euro spekuliert. Dazu haben sie «Wertpapiere» in Umlauf gebracht, meist sogenannte CDS (Kreditversicherungen). Problem: Sie haben rauhe Mengen dieser «Derivate» geschaffen. 100, 200, 300 Mal mehr, als Griechenland der Welt schuldet. Nach einer Analyse einer Filiale der französischen Bank BNP Paribas hat allein die UBS für 1320 Milliarden Franken solche CDS verkauft. Die Crédit Suisse für 1270 Milliarden. Die Deutsche Bank für 2235 Milliarden. Das erklärt die Riesengewinne (und Boni) etwa der UBS. Europas Banken haben sich also zuerst von den Staaten retten lassen. Dann haben sie das Gratis-Geld der Zentralbanken nicht in die Wirtschaft investiert, sondern damit gegen die Währung ihrer Staaten spekuliert. Hätte Griechenland im Mai seine Zahlungen gestoppt, wären die CDS fällig geworden. Folge: Sofortiger Bankrott dieser Banken. «Die Lage ist sehr ernst» warnte Nationalbank-Präsident Philipp Hildebrand. Die Erpressung der Staaten durch die Finanzgangster hat einmal mehr funktioniert. Jetzt fliessen wieder hohe Summen öffentlichen Geldes in die Finanzindustrie.
BANKEN KILLEN AUFSCHWUNG Die Banken kassieren exorbitante Zinsen und verkaufen weiter Derivate. Die Spekulation gegen den Euro hält an. «Wir erleben dramatische Zeiten», sagte am Wochenende der Präsident der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet. Denn der Angriff der Finanzer, so sagen die Politiker, zwinge sie zu drastischen Sparprogrammen. Spanien, Frankreich, Italien, Deutschland und Portugal wollen ihre Staatshaushalte rabiat kappen. So würgen die Banken gerade den beginnenden Aufschwung ab. Mehr noch: Da wird gerade ein europäisches Modell von Sozialstaat und Gesellschaft zerschlagen. Kann die Politik nicht anders? Doch. Sie hätte eine Option: Die international koordinierte, rasche Entmachtung und Regulierung des Finanzkapitals.
Zusatz BaSo: "Die Kanzlerin (Merkel) setzt auf irgendeine Finanzdingsbumssteuer, um der verstörten Wählerschaft ein Gefühl der Gerechtigkeit zu vermitteln." Kommentar von Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung
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work, 20.05.2010 Schweizer Gewerkschaftszeitung
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