:: BaSo News ::

Kippt Bern, ist das der Anfang vom Ende der Pauschalsteuer
11.06.2010 | 11:52 Uhr

Aktive Gewerkschaften in der Schweiz
In Bern will der kantonale Gewerkschaftsbund die billige Pauschalsteuer abschaffen und Vermögen richtig besteuern lassen. In vielen Kantonen sind ähnliche Vorstösse bereits eingereicht.
Es war ungewöhnlich, was am 30. April am Berner Unia-Hauptsitz passierte: Gut 100 Personen waren aus dem Saanenland in die Bundesstadt gereist, vor allem SVP-Politiker, Unternehmerinnen und Gewerbetreibende. Um gegen die Unia zu demonstrieren: «Unia opfert 1500 Jobs im Saanenland», stand auf Transparenten. Zu hören war von den Demonstranten wenig, ein Megaphon hatten sie nicht. Corrado Pardini hingegen schon. Das Mitglied der Unia- Geschäftsleitung war als Co-Präsident des Bernischen Gewerkschaftsbunds (GKB) eine der Zielscheiben des Protests. Pardini widersprach der Behauptung, eine Abschaffung der Pauschalsteuer würde im Saanenland 1500 Stellen kosten.

INITIATIVE LANCIERT. Die Szene zeigt: Die Bürgerlichen haben Angst. Denn würde nach dem Kanton Zürich auch der Kanton Bern die Steuerprivilegien für superreiche Ausländerinnen und Ausländer (auch Pauschalsteuer genannt) abschaffen, wäre das wohl der Anfang vom Ende dieser unsozialen Miniabgabe. Gut ein Jahr nach dem überraschenden Abstimmungserfolg in Zürich hat der Bernische Gewerkschaftsbund am 1. Mai die Unterschriftensammlung gestartet für seine Initiative «Faire Steuern – für Familien ». Sie will neben höheren Kinderabzügen und einer teilweisen Korrektur von Steuersenkungen vor allem eines: die Abschaffung der Pauschalsteuer.
Rund 5000 Pauschalbesteuerte lebten 2008 in der Schweiz. Und jedes Jahr kommen 400 neue, superreiche Steuerflüchtlinge dazu. Doch an Steuergeldern flossen von den Milliardären und Multimillionären 2008 nur 577 Millionen Franken in die Staatskassen.
Unter dem Druck des Abstimmungserfolgs in Zürich haben die Kantone zwar inzwischen die Steuersätze für die Pauschalbesteuerung erhöht. Dennoch wird der Widerstand gegen dieses Steuerprivileg für Superreiche immer grösser. Und immer konkreter:

VORSTÖSSE ÜBERALL. In der Waadt und in Baselland, Appenzell Ausserrhoden, Obwalden, Schaffhausen, Zug und St. Gallen sind Vorstösse zur Abschaffung der Pauschalsteuer hängig oder geplant. In Luzern und im Thurgau sind entsprechende Volksinitiativen bereits zustande gekommen. Im Kanton Basel- Stadt arbeitet die Regierung eine Vorlage zur Abschaffung der Pauschalsteuer aus. Dass auch die Berner Initiative zustande kommen wird, daran zweifelt niemand. Damit laufen in elf Kantonen Bestrebungen, dem Zürcher Beispiel zu folgen.
National sind mehrere Standesinitiativen zur Abschaffung der Pauschalbesteuerung hängig. Zuletzt hat die vorberatende nationalrätliche Kommission für Wirtschaft und Abgaben einen solchen Vorstoss aus dem Kanton St. Gallen zwar abgelehnt. Wie zuvor schon der Ständerat. Doch die Bürgerlichen wissen: wenn ein Kanton nach dem anderen kippt, wird die Pauschalsteuer auch national nicht mehr zu halten sein.

Der Hügle der Multimillionäre - ein Beispiel
Da der Hügel der Multimillionäre, dort die Sonderwohnzone für die Einheimischen. Im Berner Oberländer Nobelort Gstaad herrscht eine Art Alpen- Apartheid.

Zwischen der Kantonsstrasse und dem Bahngleis liegt ein saftiges Grasland. Kühe dürfen da noch Glocken tragen. Ebnit heisst die Ebene unweit von Gstaad. Für die Gemeinde Saanen- Gstaad hat diese Parzelle strategische Bedeutung: Hier plant die Verwaltung eine neue Zone für Einheimische. Noch wissen die meisten Einheimischen nichts von diesem Plan.
Die Sonderzone ist ein staatlicher Eingriff in den privaten Liegenschaftsmarkt. Sie soll verhindern, dass in Gstaad nur noch Leute wie Johnny Hallyday und Roman Polanski wohnen können. Immobilienhändler verlangen für Chalets im Saanenland heute gut und gerne Summen von 10 bis 15 Millionen Franken. Eine durchschnittliche 3-Zimmer-Mietwohnung kostet 2000 Franken. Günstiger Wohnraum wird auf dem Markt gar nicht erst angeboten. Er geht unter der Hand weg. Bei den Einheimischen brodelt es: «Weshalb», so fragen sich junge Saaner in einem offenen Brief, «müssen wohlhabende Gäste ihr Kleingeld in hiesige Immobilien und in Boutiquen investieren und somit uns Einheimischen einen Teil unserer Existenz und Tradition wegnehmen?»
Familien finden kein bezahlbares Dach über dem Kopf. Es sei denn, die Gemeinde schaffe Zonen, in denen Bauherrschaften zu günstigem Wohnungsbau und zur Abgabe an Einheimische verpflichtet werden. Auf der Bettlersmatte im Gemeindegebiet bei Schönried gibt es bereits ein solches verbilligtes Angebot.

KEINE SCHÜLER MEHR Auch andere reiche Schweizer Gemeinden kämpfen gegen die steigenden Immobilienpreise. So nimmt neuerdings die Steueroase Meggen LU private Bauherren in die Pflicht.
In Saanen-Gstaad lebten Ende Jahr 7612 Personen. 2106 davon waren Ausländerinnen und Ausländer. Weil es immer weniger Familien mit schulpflichtigen Kindern gibt, gerät die Schulstruktur aus den Fugen. Zu beobachten in Saanen-Gstaad: Innert vier Jahren sank die Schülerzahl von 702 auf 535. Die Entwicklung zeigt weiter nach unten. Dennoch hält die Gemeinde am dezentralen Schulsystem fest und sträubt sich gegen die Schliessung von Schulhäusern. Deshalb ist sie dringend auf günstigen Wohnraum für Familien angewiesen. Die Superreichen schicken ihre Kinder nämlich nicht in die Volksschule, sondern in die Gstaad International School Switzerland (GIS).
Offiziell wird die Preisexplosion mit der grossen Nachfrage nach Grundstücken und der Attraktivität des Saanenlands begründet. Doch hinter vorgehaltener Hand nennen Saaner einen andern Grund: die Steuerprivilegien für ausländische Multimillionäre, auch Pauschalsteuer genannt. Dieses ungerechte Steuersystem habe den Immobilienboom erst richtig angeheizt.

IN BÜRGERLICHER HAND Gemeindepräsident Aldo Kropf (FDP) hat Einblick in Immobiliengeschäfte und Steuerdaten. Offizielle Anfragen zur Ortsplanungsrevision landen auf seinem Tisch. Doch er gibt sich zugeknöpft. Er blättert in dicken Ordnern und verneint den Zusammenhang zwischen der Steuerpolitik und der Ortsplanung. Konkrete Antworten auf präzise Fragen sind von ihm nicht zu haben. Erst redet er eine halbe Stunde mit work, schliesslich will er gar nichts gesagt haben. Sonderzone des Schweigens.
Kritische Stimmen finden in dieser Gemeinde kein Gehör. Sie ist fest in bürgerlicher Hand. Von rund 100 Mandaten, die in Kommissionen zu vergeben sind, werden 98 durch Bürgerliche und Parteilose kontrolliert. FDP und SVP teilen sich die Macht im neunköpfigen Gemeinderat.
Im Jahr 2008 lebten laut der kantonalen Steuerverwaltung 210 pauschalbesteuerte Superreiche im Kanton Bern. Drei Viertel von ihnen im Saanenland. Sie lieferten 24 Millionen Franken in die Staatskasse ab. Die Zahl der Steuerprivilegierten wächst stetig. Gewerkschaftsbund und linke Parteien wollen dieses ungerechte System abschaffen. Corrado Pardini, SP-Grossrat und Co-Präsident des Gewerkschaftsbunds, hat die Volksinitiative «Faire Steuern für Familien» lanciert. Dies zum riesigen Ärger der Wirtschaftsführer im Saanenland.
Die Gewerbler und Bauherren halten zusammen wie Pech und Schwefel. Gewerkschafter sind nicht willkommen: «Gegen unsere Leute ist eine richtige Hatz im Gang», berichtet Hilmi Gashi von der Unia-Region Oberland. Die Unia will sicherstellen, dass der Gesamtarbeitsvertrag eingehalten wird. Die meisten Bauarbeiter in Gstaad stammen aus Portugal und kennen die hiesigen Verhältnisse nicht. Bereits laufen Verfahren gegen Subunternehmen wegen Missachtung von Mindestlöhnen.
Im privaten Baumarkt herrscht kein Wettbewerb, die Aufträge werden nicht ausgeschrieben. Der führende Gstaader Bauunternehmer Hans Wanzenried, Chef der Bauwerk AG, sieht das anders. «Der Markt spielt.» Man baue zu Durchschnittspreisen. Die einheimischen Firmen müssten sich gegen auswärtige durchsetzen. Dank kurzen Anfahrtswegen genössen sie aber einen Wettbewerbsvorteil. Im Gegenzug erhielten sie keine Aufträge in andern Regionen.
Von wegen Durchschnittspreisen: Udo Michel, der Unia- Co-Leiter der Region Bern, spricht von «kartellähnlichen Zuständen» im lokalen Bausektor. Die ansässigen Firmen teilten den fetten Auftragskuchen unter sich auf. Deshalb seien die Preise auch höher als anderswo.

EIN LUXUSHOTEL MEHR Das Fünfsternehotel Palace mit seinen 200 Zimmern und Suiten überragt alles. Doch aus nächster Nähe erwächst ihm jetzt Konkurrenz: Kapitalkräftige Tycoons lassen für 300 Millionen Franken das neue Luxushotel Alpina bauen.
Vier lokale Baufirmen teilen sich diesen Auftrag. 124 Betten, Appartements, Restaurants, Wellness, Bars und Lounges sollen ab 2012 alpenbegeisterte Kaufkraft nach Gstaad und ins Skigebiet bringen. Die «Alpina»- Baustelle ist riesig. Fünf Kräne ragen in den Himmel und bedienen die Welt aus rohem Beton und Armierungsstahl. Die Dimensionen erinnern eher an ein Atomkraftwerk denn an ein Ferienresort. Das Gelände ist über eine massive Betongalerie erreichbar. Alle, die hier eintreten, werden an der Loge kontrolliert. Fotografieren ist verboten. Wer mit Arbeitern reden will, stösst auf eine Mauer: Sonderzone des Schweigens.
Mit den drei Investoren von «Alpina» will es niemand verderben. Es sind dies der Gstaader Immobilienkönig Marcel Bach, der pauschalbesteuerte britische Formel-1-Manager Bernie Ecclestone und der französische Zuckerbaron Jean- Claude Mimran. Mit der Kundschaft, die das Trio ins «Alpina» holt, belebt es gleichzeitig das eigene Gletscherskigebiet Glacier 3000 in Les Diablerets. Für fünf Millionen kauften die drei 2005 die konkursite Firma mit Bahnen, Beschneiungsanlagen und dem Hotel des Stararchitekten Mario Botta. Der Kanton Bern und die Gemeinde Saanen- Gstaad mussten für ihr einstiges Prestigeprojekt einen Abschreiber von zehn Millionen Franken hinnehmen.

KASCHIERTER REICHTUM Oberbort: der Name des Gstaader Bonzenhügels steht für die Zone des überbordenden Kapitalismus. Am Hang oberhalb Gstaads haben sich die Schwerreichen im rustikalen Chaletviertel eingebunkert. Bis vor kurzem gab es hier weder Strassenschilder noch Hausnummern. Die Chalets tragen wohlklingende Namen: Miramonti oder Blumenwald. Aber keinen Namen am Briefkasten. Die Prominenz aus aller Welt residiert hier ungestört. Der bäuerliche Baustil, umgeben von Nadelbäumen und Alpenblumen, eignet sich hervorragend zum Kaschieren des Reichtums. Äusserlich bleibt der Ortsbildschutz gewahrt. Satteldächer und Holzverzierungen verbergen millionenschwere Fundamente, Aufbauten und Zwischengeschosse. Die Einstellhallen mit den Ferraris und Bentleys, Bankettsäle, Hallenbäder und Fitnessräume bleiben diskret im Untergrund verborgen.
Zum Beispiel das Chalet Dihamosi: Ein Ölscheich vom Persischen Golf liess im Innern beim Treppenaufgang eine sechs Meter breite Wand bauen, die mit lauter Bergkristallen bestückt ist. Echte Brocken – keine Imitate. Allein diese Extravaganz kostet einige Hunderttausend Franken. Im Chalet Dihamosi gibt es zudem ein Schwimmbad, dessen Grund aus einer 15 Zentimeter dicken Glasplatte besteht – extra eingeflogen aus den USA. Darunter leuchtet ein künstliches Riff.

SHOPPEN IM CHALET Im herausgeputzten Dorf hat sich das exklusive Pendant zum Bonzenhügel gebildet mit der verkehrsfreien Promenade, den Luxusboutiquen, Banken, Galerien, Hotels, Restaurants und Bars. Hier promenieren die Prominenten ohne Begleitschutz. Selbst die Geschäftswelt ist im Chaletstil erbaut.
In der Boutique Lunaria kostet eine Lagerfeld-Hose 600 Franken. Die Ledertasche von Bottega-Veneta 8000 Franken. In der Galerie des Von-Siebenthal- Hauses werden Gemälde für 85000 Franken gehandelt. Solche Preise zahlen die Moores, Bertarellis und Latsis, aber nicht die Einheimischen. Sie dürfen sich an der eingeschnitzten Inschrift des Chalets erfreuen: «Wenn dieses Haus so lange steht, bis auf der Welt der Neid vergeht, so bleibt es nicht nur eine Zeit, sondern eine Ewigkeit. »
Martin Hefti-Lustenberger weiss, wie diese Parallelgesellschaft funktioniert. Der Audiound Videoelektroniker aus Schönried hat die meisten Häuser im Oberbort als Berufsmann von innen gesehen. Denn er arbeitet für eine Kabelnetzgesellschaft. «Die Pauschalbesteuerung ist unfair», sagt Hefti. Ziel müsse es sein, eine gerechtere Lösung zu finden. Der 39jährige Hefti ist Mitglied der Sicherheitskommission der Gemeinde Saanen-Gstaad und SP-Mitglied. Die Partei zählt im ganzen Saanenland noch acht Mitglieder. Hefti ist einer der wenigen Einheimischen, die sich zu einer öffentlichen Stellungnahme bereit erklärten. Hefti kritisiert die räumliche Entwicklung: «Normalsterbliche finden kaum mehr günstigen Wohnraum.»

MIT KIRCHLICHEM SEGEN Selbst die Kirche verteidigt das Zweiklassensystem. Der reformierte Pfarrer Bruno Bader sagt: «Die Gegend hier ist überaus attraktiv.» Berglandschaft, Infrastruktur, attraktive Wohn- und Steuerbedingungen und auch die Möglichkeit der Pauschalbesteuerung würden zu den Vorzügen des Kantons Bern und des Saanenlands gehören. Das Zusammenleben von Menschen, die in bescheidenen Verhältnissen lebten, und solchen, die sehr vermögend seien, funktioniere gut. Dies habe wohl damit zu tun, dass der «Menschenschlag in den Bergen» sehr verwurzelt und eigenständig lebe und sich nicht vorschnell beeindrucken oder blenden lasse. Zudem sagt Bader: «Nach reformiertem Verständnis ist es nicht zulässig, Reichtum per se zu verteufeln. Gleichermassen ist es falsch, Armut als solche zu verklären.
» Für die Jugend baut die Gemeinde ausserhalb des Dorfs ein neues Jugendzentrum. Für 2,5 Millionen Franken. Noch trifft sich die einheimische Jugend aber lieber im «Richi’s». Der Pub in der Fussgängerzone ist die letzte Bastion, wo Handwerker in Überkleidern und Jugendliche in abgewetzten Jeans für zahlbare Preise Bier und Cola trinken können. Wie lange der Richi’s Pub noch offen steht, ist ungewiss. Bauprofile deuten eine unheilvolle Entwicklung an. Der Clan des deutschen Pharmamilliardärs Curt G. Engelhorn hat auch dieses Grundstück aufgekauft. Die Gemeinde verhängte einen Baustop. Ein Fall für Rechtsanwälte, die sich weder über mangelnde Aufträge noch über zu geringe Streitsummen beklagen können. Das Servicepersonal beantwortet keine Fragen über die Zukunft des Lokals: «Wir wissen nichts und sagen nichts.» Sonderzone des Schweigens.


aus der Schweizer Gewerkschaftszeitung works, 3.6.2010, von Matthias Preisse und Daniel Vonlanthenr


 
vorige News
zurück zur Übersicht                              nächste News