Mehrere Verträge für ein Unternehmen sind demnach möglich. Unternehmerverbände, DGB und Linkspartei kritiken diese Entscheidung des BAGs einheitlich
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt gab die bisherige Rechtsprechung zur »Tarifeinheit« auf. Wie das BAG am Mittwoch mitteilte, hat sich der Zehnte Senat dem Votum des Vierten Senats vom Januar angeschlossen, wonach in einem Betrieb Tarifverträge von mehreren Gewerkschaften zur Anwendung kommen können.. »Es gibt keinen übergeordneten Grundsatz, daß für verschiedene Arbeitsverhältnisse derselben Art in einem Betrieb nur einheitliche Tarifregelungen zur Anwendung kommen können«, stellten die obersten Arbeitsrichter klar. Zusammen hatten der DGB und der BDA bereits im Vorfeld der erwarteten BAG-Entscheidung eine Gesetzesinitiative zur Wiederherstellung der »Tarifeinheit « verlangt. Dieses forderte auch Klaus Ernst, Vorsitzender der Partei Die Linke.
Meinung
Frieden durch Einheit Von Daniel Behruzi Wenn Unternehmerverbände wie Gesamtmetall und BDA zu Verfechtern der Tarifautonomie werden, ist Vorsicht angebracht. Unisono verurteilten die Konzernvertreter die am Mittwoch bekanntgegebene Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG), Tarifpluralität - also die Anwendung verschiedener Tarifverträge in einem Betrieb - zuzulassen. »Die Tarifeinheit ist ein unverzichtbares Element der Tarifautonomie«, erklärte der sonst nicht als Freund verbindlicher Tarifregelungen bekannte BDA-Präsident Dieter Hundt. Thomas Böhle, Präsident der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VK A), sieht gar den »sozialen Frieden« in den Verwaltungen und Betrieben bedroht, wenn auch kleinere Gewerkschaften für die Durchset¬zung von Tarifverträgen zum Streik aufrufen können.- Dabei handelt es sich bei der BAG-Entscheidung eigentlich um eine verfassungsrechtlich verbriefte Selbstverständlichkeit. Die im Grundgesetz festgeschriebene Koalitionsfreiheit erlaubt es allen Beschäftigten, sich in Gewerkschaften ihrer Wahl zu organisieren. Das Recht dieser Organisationen, Tarifverträge per Streik durchzusetzen, ergibt sich daraus. »Der jahrzehntelang geltende Grundsatz >Ein Betrieb - eine Gewerkschaft wird aufgegeben«, heißt es in einer Agenturmeldung vom Mittwoch. Wer genauer hinschaut weiß: Diese Regel gilt in der betrieblichen Realität längst nicht mehr. Die Unternehmen haben in den vergangenen Jahren alles daran gesetzt, um Tarifstandards durch Ausgründungen, den Einsatz von Fremdfirmen und Leiharbeitern zu unterlaufen. Dadurch gilt auch in vielen Großkonzernen mittlerweile eine Vielzahl tariflicher Regelungen, die ebensoviele Spaltungslinien durch die Belegschaften ziehen. Das hat noch kein Unternehmerverband mit Verweis auf die »Tarifeinheit« beklagt.
Der Grund ist, daß es ihnen nicht um die »Einheit«, sondern um den »Betriebsfrieden« geht. Aus Sicht der Unternehmer ist das Verlangen nach Friedenspflicht- sprich: Streikverbot - verständlich. Geradezu un-glaublich ist aber, daß sich auch die DGB-Spitze in einer gemeinsamen Erklärung mit dem BDA dafür stark gemacht hat. Die Überlegung, sich auf diesem Weg unliebsame Kon¬kurrenz von Spartengewerkschaften wie GDL, Marburger Bund und Ver¬einigung Cockpit vom Hals zu halten, ist an Kurzsichtigkeit kaum zu übertreffen. Denn Einschränkungen des Streikrechts gegen diese Organisationen werden sich eher früher als später auch gegen die DGB-Gewerkschaften selbst lichten. Auf diesem Wege ist dem Phäno¬men der Spartengewerkschaften, die dem DGB in einigen Bereichen zuletzt das Wasser (und die Mitglieder) abgegraben haben, ohnehin nicht beizukommen. Die DGB-Funktionä¬re sollten sich lieber einmal fragen, warum sich immer mehr Beschäftig-tengruppen - die tarifpolitisch teils jahrzehntelang von den DGB-Mit-gliedsorganisationen vertreten wurden - plötzlich selbständig machen. Vielleicht liegt es an den jahrelangen Rückschritten bei Löhnen und Arbeitsbedingungen?
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