Nach dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zur Tarifpluralität strebt eine breite Koalition von Unionsparteien, FDP, SPD und Linkspartei eine gesetzliche Einschränkung des Streikrechts an. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte am Mittwoch seine jahrzehntelang geübte Rechtssprechung aufgegeben und den Abschluß mehrerer Tarifverträge und die Konkurrenz verschiedener Gewerkschaften in einem Betrieb grundsätzlich für zulässig erklärt. Während sich die Grünen als einzige im Bundestag vertretene Partei zurückhielten, stieß die Linke in dasselbe Horn wie Regierung und SPD. Parteichef Klaus Ernst hatte bereits unmittelbar nach dem Urteil »die Politik« aufgefordert, »umgehend« zu reagieren. Bodo Ramelow: Der BAG-Beschluß sei ein »Wink mit dem Zaunpfahl an den Gesetzgeber«. »Wir fordern, daß die Gesetzeslücke im Tarifrecht umgehend durch den Gesetzgeber geschlossen wird«, schloß sich am Donnerstag der Fraktionsvorsitzende im nordrhein-westfälischen Landtag, Wolfgang Zimmermann, an. Durch den Beschluß werde es »Scheingewerkschaften möglich, zum Schaden der Mehrheit der Beschäftigten, Betriebe lahmzulegen und die Belegschaften zu spalten«, erklärte Zimmermann – ohne freilich zu erklären, wie »Scheingewerkschaften« Betriebe lahmlegen könnten.
Die IG Metall, die seit Jahren Auseinandersetzungen mit sogenannten »gelben«, unternehmerfreundlichen Gewerkschaften führt, schätzt die neue Situation völlig konträr ein: »Der Vorstoß des BAG«, heißt es in einem Positionspapier, »erschwert es den Arbeitgebern, Flächentarife durch ›speziellere« Dumping-Tarife auszuhebeln«, sei »im Sinne der Koalitionsfreiheit und birgt aus gewerkschaftlicher Sicht keine Nachteile«.
Ein Gespräch mit Wolfgang Däubler
Wolfgang Däubler ist Professor für Arbeitsrecht an der Uni Bremen und Autor vieler Bücher zum Arbeits- und Streikrecht Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zur Abschaffung der sogenannten Tarifeinheit ist bei Unternehmerverbänden und DGB-Gewerkschaften gleichermaßen auf Ablehnung gestoßen. Ist die allgemeine Empörung gerechtfertigt? Ganz und gar nicht. Denn die Tarifeinheit ist vor 20 Jahren vom BAG ohne jede Rechtsgrundlage erfunden worden. Die wissenschaftliche Literatur hatte diese Entscheidung fast einheitlich kritisiert. Mittlerweile sind andere Richter am BAG. Diese haben, erst der 4. und jetzt auch der 10. Senat, die Kritik aufgenommen und klargestellt: Es gibt keine Tarifeinheit. Wenn in einem Betrieb Tarifverträge mit verschiedenen Gewerkschaften abgeschlossen werden, haben all diese für ihre jeweiligen Mitglieder Gültigkeit. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) haben gemeinsam gefordert, die Tarifeinheit per Gesetz wiederherzustellen. Was halten Sie davon? Sehr wenig. Denn das bedeutet, daß Minderheitenorganisationen keine Tarifverträge mehr abschließen könnten. Die Einigung zwischen BDA und DGB besagt, daß der Vertrag derjenigen Gewerkschaft gelten soll, die die meisten Mitglieder im Betrieb organisiert. Das hätte zur Folge, daß die Minderheitenorganisation zwar eine Gewerkschaft ist, aber keine Möglichkeiten mehr hat, sich des wichtigsten gewerkschaftlichen Mittels zu bedienen.
Zudem hat man offenbar nicht bedacht, daß die DGB-Gewerkschaften keineswegs in allen Betrieben in der Mehrheitsposition sind. Wenn man zum Beispiel an die Krankenhäuser denkt: Da hat der Marburger Bund (MB) in vielen Fällen bei den Ärzten einen Organisationsgrad zwischen 80 und 90 Prozent. Das Zahlenverhältnis zwischen Ärzten auf der einen und Pflege- sowie Verwaltungspersonal auf der anderen Seite liegt ungefähr bei eins zu drei. Wenn nun beispielsweise nur zehn Prozent der Pflege- und Verwaltungsangestellten bei ver.di organisiert sind, dann wäre der MB die Mehrheitsorganisation. Die Folge: Es würden nur die Tarifverträge des Marburger Bundes gelten. Da diese verständlicherweise nur die Arbeitsbedingungen der Mediziner regeln, wäre die restliche Belegschaft ohne jede tarifliche Absicherung. Das zeigt, welch groteske Folgen ein solches Mehrheitsprinzip hätte. Ist die Spaltung der Gewerkschaften für die Beschäftigten nicht problematisch? Alle Erfahrungen sprechen dafür, daß gewerkschaftliche Einheit sinnvoll ist. Die kann man aber nicht administrativ herstellen, indem man die Minderheit vernichtet. Wenn man eine gute, praktische Gewerkschaftsarbeit macht, erledigt sich das Minderheitenproblem von alleine. Linkspartei-Chef Klaus Ernst unterstützt die Initiative von DGB und BDA mit dem Argument, so könne die Dumpingkonkurrenz von »christlichen« Pseudogewerkschaften zurückgedrängt werden. Das ist insofern richtig, als in manchen Bereichen die Dumping-Gewerkschaften kleine Minderheiten sind. Man muß aber auch an die Bereiche denken, in denen es keinen Unterbietungs-, sondern einen Überbietungswettbewerb gibt – zum Beispiel bei der Lufthansa. Im übrigen läßt sich das Problem der Dumpingkonkurrenz durch sogenannte Christliche Gewerkschaften nicht durch die Tarifeinheit lösen. Da Tarifverträge generell nur für Mitglieder der jeweiligen Gewerkschaft gelten, kann der Arbeitgeber alle anderen sowieso schlechter behandeln. Die Unterbietungskonkurrenz wäre also auch dann möglich, wenn das Prinzip der Tarifeinheit realisiert würde. Ist es nicht ein praktisches Problem, wenn in einem Betrieb verschiedene Tarifverträge gelten? Das kann Schwierigkeiten aufwerfen. Aber auch aus einer per Mehrheitsprinzip hergestellten Tarifeinheit würden sich riesige praktische Probleme ergeben. Wie wollen Sie zum Beispiel feststellen, wer Mitglied welcher Gewerkschaft ist? In gut organisierten Großbetrieben riskieren die Beschäftigten vielleicht nichts, wenn sie sich zu ihrer Organisation bekennen. In vielen kleineren und schlechter organisierten Bereichen ist das aber ganz anders.
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