Die Tabel-Belegschaft (Kieler Nachrichten)
So müssen die Beschäftigten, meistens Frauen, arbeiten: Keine festen Pausen, nur nach Produktionslage, Frauen werden die Hocker weggenommen, damit sie sich bei Maschinenstillstand nicht mehr hinsetzen können, Arbeit bis zu 18 Stunden ohne reguläre Pause und nach sechs Stunden schon wieder auf Schicht. Als das Trinken verboten wurde, kippte eine Frau in einer 14 Stunden-Schicht um.
Das klingt wie ein Bericht aus China im Weltspiegel am Sonntagabend im ARD um 19 Uhr 20? Mitnichten, es sind aktuelle Szenen, mitten in Deutschland. Die Firma heißt Kieler Nachrichten. Genauer: Die Beschäftigten arbeiten bei der Firma Tabel, einem Werkdienstleister bei den Kieler Nachrichten. Der Betriebsrat Richard Ernst ist nur zuständig für die Stammbelegschaft, die Tabel-Beschäftigten hatten in den vergangenen zehn Jahren keinen Betriebsrat. Man fragt sich: Warum lassen die Leute sich das gefallen?! Warum gehen sie nicht zur Gewerkschaft, warum gründen sie keinen Betriebsrat?
Das haben sie seit zehn Jahren, seit es die Firma Tabel gibt, mehrfach getan: Einige empörte Aktivisten sind vertrauensvoll zu verdi Kiel gegangen. Ein paar Tage oder Wochen später waren sie entlassen. Wie das? Sie rechneten nicht damit, daß es einen "kurzen Dienstweg" vom verdi-Büro zur Geschäftsleitung der Kieler Nachrichten geben könnte. Das vermuten jetzt jedenfalls AktivistInnen, die im Herbst letzten Jahres einen erneuten Versuch starteten, einen Betriebsrat zu gründen. Und sie haben etliche Hinweise, die ihre Vermutungen bestätigen. Im Druckzentrum der Kieler Nachrichten (KN) werden außer den KN selbst, die Hamburger Morgenpost, mehrere Hamburger Anzeigenblätter und Blitz Mecklenburg hergestellt.
Vor zehn Jahren gab es bei den Kieler Nachrichten noch etwa 800 Beschäftigte mit Tariflöhnen, meistens in Vollzeit. Ein leitender Angestellter, Rüdiger Tabel, machte eine Firma auf, die einen Werkvertrag bekam. Zweck: Der Lohn für die Tabel-Beschäftigten sollte gesenkt werden. Das gelang auch: Von 12,50 Euro brutto auf 6,14 Euro brutto bei gleicher Tätigkeit. Die Belegschaft bei Tabel setzte sich in der Mehrzahl aus Frauen zusammen. Aus RentnerInnen, StudentInnen und Hausfrauen, die einen Wiedereinstieg ins Berufsleben suchten. Gegen die Umwandlung der Normal-Arbeitsverhältnisse wurde von Betriebsrats-, Gewerkschaftsseite nichts unternommen. Und auch die Stammbelegschaft hatte nichts dagegen. Sie sahen das sogar positiv, es wurden ja Puffer geschaffen, die ihre Arbeitsplätze in diesen Krisenzeiten sicherer machten!
Aber seit einigen Monaten hat sich Entscheidendes geändert bei Tabel und bei verdi Kiel. Im letzten Herbst waren wieder einige über ihre Arbeitsverhältnisse empörte AktivistInnen ins Kieler Gewerkschaftsbüro gegangen - diesmal aber gewarnt durch die Erfahrungen ihrer Vorgänger. Sie nahmen Cornelia Möhring mit, die vor ihrer Wahl zur Bundestagsabgeordneten (Linkspartaei) in einem Beratungsbüro für Betriebssräte gearbeitet hatte und rückten dem zuständigen verdi-Sekretär auf die Pelle und verkündeten ihm eindrücklich, daß sie einen Betriebsrat gründen. Dadurch funktionierte diesmal die "natürliche" Verbindung zur Geschäftsleitung der Kieler Nachrichten nicht: Der Betriebsrat wurde am 4. Februar 2010 gewählt, Marcus Peyn der Vorsitzende. Vorher waren 150 Tabel-Beschäftigte in verdi eingetreten, dadurch konnte der bisherige verdi-Vorsitzende für den Fachbereich 08 (früher IG Medien), Richard Ernst, abgewählt und ein neuer Vorstand mit ihren Leuten besetzt. Vorsitzender wurde Marcus Rohwer, Tabel-Beschäftigter. Nachdem der Betriebsrat gewählt war, kündigten die Kieler Nachrichten den Werkvertrag mit Tabel und alle 389 Beschäftigten standen auf der Straße, das war am 30. Juni dieses Jahres. Aber es geht nicht um einzelne Funktionäre wie den BR-Vorsitzenden Richard Ernst, der vor zwei Jahren anläßlich seines 60. Geburtstages auf der verdi-homepage (Kiel/Plön) als Fürst gefeiert wurde. Es geht um gewerkschaftliche Strukturen und gewerkschaftliches Denken, die zehn Jahre Verhältnisse zulassen wie bei chinesischen WanderarbeiterInnen und die zutiefst gewerkschaftliches Verhalten, nämlich das mehrfache Aufbegehren gegen menschenunwürdige Zustände durch Bildung eines Betriebsrates verhindern!
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