Eigentlich müsste ich für Carla del Ponte eine solide Abneigung empfinden. Denn sie wollte mir 1998 meine parlamentarische Immunität zum zweiten Mal aberkennen.
LANDESVERRAT. Anlass war mein Buch «Die Schweiz, das Gold und die Toten». Es erschien zu einem Zeitpunkt, als sich der Skandal um die von Schweizer Banken während und nach dem Zweiten Weltkrieg veruntreuten jüdischen Vermögen zur Krise auswuchs. 1998 mussten die Banquiers zu Kreuze kriechen und einen Vergütungsvertrag mit dem Jüdischen Weltkongress unterschreiben. Insbesondere die UBS-Aktie verlor massiv an Wert. Zwölf Aktionäre aus Basel und Zürich klagten gegen mich. Ihr haarsträubender Vorwurf: Mein Buch habe zur Schädigung der Interessen der Schweiz beigetragen, Landesverrat sei der Tatbestand. Die damalige Bundesanwältin Carla del Ponte, gegen die heute wegen ihrer Rolle als Chefanklägerin am Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ermittelt wird, übernahm die Klage. Bei einer Klage wegen Landesverrats muss der Bundesrat grünes Licht geben. Dank Ruth Dreifuss konnte del Ponte meine Immunität nicht aufheben. Warum finde ich die zackige Ex-Bundesanwältin trotzdem gut? Weil sie 1995 in Genf, vor der versammelten Vereinigung der Banquiers, einen damals todesmutigen Vortrag gehalten hat. Ihre Aussage: «Genf ist der sechstgrösste Finanzplatz der Welt. Mindestens 80 Prozent der hier deponierten ausländischen Gelder sind Frucht der Steuerhinterziehung.» Über Carla del Ponte brach das Gewitter los. «Unverantwortlich!», «Frei erfunden!», «Eine schwere Beleidigung!». Sommer 2010: Die Schweizer Banquiers mussten auf Ferien verzichten. «Le Temps», die Zeitung der Genfer Privatbanken, titelt: «Der Finanzplatz muss 700 Milliarden Franken nicht versteuerter Gelder legalisieren.» Ein Albtraum! Regularisiert werden muss das Schwarzgeld bis zum September. Dann beginnen nämlich neue Verhandlungen mit der OECD und auch mit Brüssel.
DIE ANGST DER HEHLER. Das Drama der Piraten von Genf ist erschütternd: Sie müssen ihre Kunden dazu bewegen, das Geld in Genf zu lassen, es aber freiwillig bei ihrem Fiskus zu melden. Die Angst ist doppelt: Die Schwarzkunden könnten ihre Milliarden nach Singapur, Curaçao oder in die Ukraine verschieben. Oder aber sie behalten ihre Konten mit unversteuertem Geld in der Schweiz, und die Behörden ihrer Heimatländer verfolgen die helvetischen Hehler wegen Beihilfe zum Steuerbetrug. Die «Ferienaufgabe der Schweizer Banquiers», wie «Le Temps» deren fieberhafte Sommeraktivität bezeichnet, könnte ziemlich einfach gelöst werden: Der bankenhörige Bundesrat müsste endlich die Hehlerei radikal stoppen. Die EU verlangt den automatischen Informationsaustausch in Steuerfragen. Das Ansinnen ist ein Gebot der Vernunft. Würde es durchgesetzt, müssten die Genfer Privatbanquiers zwar auf einige Millionen Einkommen verzichten. Sie könnten dafür aber wieder ruhig in die Ferien fahren.
Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Sein jüngstes Buch, «Der Hass auf den Westen», erschien auf deutsch im Herbst 2009.
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