:: BaSo´s  internationale News ::

„Zivilisten werden ermordet und wie Kriegstrophäen präsentiert“
05.04.2008 | 18:50 Uhr

Liebe Kolumbien-Freundinnen und -Freunde!

In den letzten Wochen und Monaten war Kolumbien auch in den deutschen Medien immer wieder wegen der Geiseln der FARC-Guerilla und zuletzt wegen des drohenden kriegerischen Konflikts mit Ecuador und Venezuela präsent.

Wenig erfahren wir jedoch von der aktuellen Menschenrechtssituation. Das Hochkommissariat der Vereinten Nationen führt in seinem Menschen­rechts­bericht 2007 zu Kolumbien aber massive Menschenrechtsverletzungen an. Als besonders besorgniserregend wird die Zunahme von 65 Prozent bei extralegalen Hinrichtungen durch Mitglieder der Streitkräfte bezeichnet. Die ermor­deten Zivilisten werden von Armee oder Polizei als „im Kampf gefallene Guerilleros“ bezeichnet. Das bestätigte auch die internationale Beobachtungsmission im Herbst 2007. Die 13 unabhängigen Fachleute, unter ihnen Juristen, Journalisten, forensische Anthropologen und Menschenrechts­experten, berichten von mindestens 955 Fällen außergerichtlicher Hinrichtungen für den Zeitraum Juli 2002 bis Juni 2007 und von 235 Fällen eines gewaltsamen „Verschwindenlassens“ durch die Sicherheitskräfte.

Die renommierte Menschenrechtsanwältin Liliana Uribe vom Anwaltskollektiv „Corporación Jurídica Libertad“ (CJL) koordinierte diese Beobachtungskommission und war im Herbst 2007 auch Berichterstatterin gegenüber der Interamerikanischen Menschenrechtskommission über die extralegalen Hinrichtungen in Kolumbien. Das Anwaltskollektiv ist seit langen Jahren Partner von „Brot für die Welt“. Was unter extralegalen Hinrichtungen zu verstehen ist und den politischen Hintergrund erklärt Liliana Uribe in einem Interview mit Jochen Schüller.

Im April ist Liliana Uribe während einer längeren Europareise auf Einladung von „Brot für die Welt“ und anderen Hilfswerken und Menschenrechtsorganisationen in Deutschland zu Gast. Neben mehreren Gesprächen mit Parlamentariern und Auswärtigem Amt wird Liliana Uribe bei vier Abendveranstaltungen in Köln, Berlin Hamburg und Bremen über die Menschenrechtssituation in Kolumbien berichten. Wir würden uns freuen, wenn Ihnen die Teilnahme an einer dieser Veran­staltungen möglich ist.

Mit freundlichen Grüßen

Jochen Schüller Karen Neumeyer Jörg Jenrich

„Zivilisten werden ermordet und wie Kriegstrophäen präsentiert“

Die prominente Anwältin Liliana Uribe von der Menschen­rechtsorganisation „Corporación Jurídica Libertad“ (CJL) hat die extralegalen Hinrichtungen in Kolumbien untersucht, die Ermordung von Zivilisten durch Angehörige der Armee und der Polizei. Im Herbst 2007 berichtete Liliana Uribe vor der Interamerikani­schen Menschenrechtskommission über die starke Zunahme der Zahl dieser schweren Menschenrechts­verletzungen. Auf Einladung von „Brot für die Welt“ und anderen Hilfswerken wird sie im April durch Deutschland reisen und über extralegale Hinrichtungen und die aktuelle Menschenrechtssituation in Kolumbien berichten.

Frau Uribe, was sind extralegale Hinrichtungen?

Extralegale Hinrichtungen sind schwere Menschenrechtsverletzungen. In Kolumbien haben diese Verbrechen im Rahmen der „Politik der demokratischen Sicherheit“ des amtierenden Präsidenten, die eine Art Aufstandbekämpfungspolitik ist, stark zugenommen. Menschenrechtsorganisationen haben im Zeitraum von 2002 bis 2007 insgesamt 955 extralegale Hinrichtungen und 235 Falle von „Verschwindenlassen“ dokumentiert. Zivilisten werden von den staatlichen Sicherheitskräften ermordet und als im „Kampf gefallene Guerilleros“ deklariert. Meistens wird die Person verhaftet, oft wird sie dann auch gefoltert und schließlich ermordet. Allein im östlichen Teil der Provinz Antioquia hat die Armee 274 „gefallene Guerilleros“ gemeldet. Wir haben herausgefunden, dass 110 von ihnen - also 38 Prozent - einfache Zivilisten waren. Darunter befanden sich zwölf Kinder und Jugendliche, teilweise im Alter von 14 oder 15 Jahren, und eine Schwangere.

Gibt es eine Systematik hinter diesen Verbrechen?

Oft geschehen die extralegalen Hinrichtungen, um „positive Resultate“ in der Guerilla-Bekämpfung vorzuweisen. Man will ein Bild produzieren, dass der militärische Kampf gegen die Aufständischen erfolgreich ist, indem man möglichst viele „getötete Guerilleros“ vorzeigt. Die Armeeeinheiten müssen also „Erfolge“ vorweisen. So werden dann auch einfache Bauern ermordet und als im „Kampf gefallene Guerilleros“ vorgeführt. Außerdem hatte die Regierung ein System von Belohnungen und Geldprämien eingeführt für jeden, der einen vermeintlichen Guerillero tötet. Aufgrund von Protesten musste die Regierung dieses Belohnungssystem zurücknehmen. Doch es bestehen immer noch Formen von Vergünstigungen, die die Kommandanten der Armeeeinheiten eigenständig vergeben können. Besonders beunruhigend ist, dass die Ermittlungen nicht von unabhängigen Gerichten sondern von der Militärjustiz untersucht werden, so dass meist dieselben, die für die Verbrechen verantwortlich sind, dann die Ermittlungen leiten. Die allergrößte Zahl der „extralegalen Hinrichtungen“ bleibt straflos.

Welche Folgen haben die extralegalen Hinrichtungen?

Sie erzeugen Terror und Panik, sodass oft die ganze Familie oder eine Dorfgemeinschaft vertrieben wird. Betroffene Familien verlieren nicht nur den Ernährer. Wenn Familienangehörige Anzeige erstatten, werden sie von Militärangehörigen so bedroht, dass sie fliehen müssen. Die kolumbia­nischen Medien berichten oft über die „Erfolge“ der Armee - sehr selten jedoch über die extralegalen Hinrichtungen. Hier werden viele Kolumbianer ermordet und wie Kriegstrophäen präsentiert, obwohl sie Zivilisten sind.

Was kann die Internationale Gemeinschaft tun?

Es ist kompliziert, da viele der Regierungen in Europa der Politik der „demokratischen Sicherheit“ des kolumbianischen Präsidenten weitgehend zustimmen, obwohl sie von den vielen extralegalen Hinrichtungen und den zahllosen willkürlichen Verhaftungen in Kolumbien wissen. Das liegt hauptsächlich an den Interessen einiger europäischer Unternehmen und Konzerne. Es ist beunruhigend, dass diese Wirtschafts­interessen über das Leben und die Rechte der Menschen in Kolumbien gestellt werden. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschenrechte und das Leben wieder Primat und Priorität der Politik der kolumbianischen und der europäischen Regierungen werden.


Veranstaltungen mit Liliana Uribe in Deutschland

Köln - Montag, 7. April 2008, 20.00 Uhr
"Wenn die Schutzmacht tötet" - Extralegale Hinrichtungen in Kolumbien
Ort: Lutherkirche Südstadt, Martin-Luther-Platz 2-4 (nähe Chlodwigplatz)
Veranstalter: Lutherkirche Südstadt, "Brot für die Welt", Peace Brigades International (Regionalgruppe Köln/Bonn), Misereor, Kolumbiengruppe der ESG

Berlin - Dienstag, 8. April 2008, 20.00 Uhr
"Wenn die Schutzmacht tötet" - Außergerichtliche Hinrichtungen in Kolumbien
Ort: Haus der Demokratie und Menschenrechte, Greifswalder Str. 34
Veranstalter: Kolko e.V., amnesty international, Peace Brigades International

Hamburg - Donnerstag, 10. April 2008, 18.15 Uhr
„Alles was r/Recht ist…?“
Ort: Rechtshaus der Universität Hamburg, Rothenbaumchaussee 33
Veranstalter: Peace Brigades International

Bremen - Freitag, 11. April 2008, 19.30 Uhr
"Wenn die Schutzmacht tötet" - Extralegale Hinrichtungen in Kolumbien
Ort: Kapitel 8, Domsheide 8
Veranstalter: amnesty international Gruppe Bremen, Brot für die Welt/Diakonisches Werk




 
vorige News
zurück zur Übersicht                              nächste News