Wer meint, schon alle Gemeinheiten zu kennen, mit denen Kapitalisten und ihnen verpflichtete Gewerkschaftsbürokraten gegen kämpferische und ihren Kolleginen verpflichtete Basis-Gewerkschafter vorgehen, der irrt. Er sollte die Geschichte der „Freightliner 5“ aus dem Daimler-LKW-Werk in Cleveland, North Carolina, kennenlernen.
Cleveland, NC, ist eine Kleinstadt im anti-gewerkschaftlichen „Christian Belt“ der US-Südstaaten, traditionell ein bevorzugter Fluchtpunkt für Auto-und Zulieferunternehmen, an den die Produktion aus den traditionellen gewerkschaftlichen Hochburgen um Detroit verlagert wird. Also ein schwieriges Pflaster für die Gewerkschaften.
Wie die ganze Region, war Cleveland früher ein Zentrum der Textilproduktion, und wie in der ganzen Region ist sie abgewandert. Übrig bleibt in Cleveland noch das LKW-Werk der Daimler-Tochter Freightliner (US-Marktführer) mit heute noch 3000Beschäftigten plus mehrere tausend in der Zulieferer-Kette. Die lokale Ökonomie steht und fällt mit dieser Fabrik. 700 Entlassungen hat es im vergangenen Jahr bereits gegeben. 1500 weitere hat Daimler-Vorstand Rüdiger Grube Mitte Mai 2008 angekündigt. Die Profite, die Freightliner abwirft, sind zwar stattlich. Trotzdem müsse in Cleveland die Hälfte der Belegschaft gehen, erklärte Grube, weil die Absatzzahlen nicht so gut sind, wie der Konzern es sich vorgestellt hat, und das die Profite nicht schmälern dürfe. Und Freightliner baut z.Zt. ein neues Werk in Mexiko… Stadt und Belegschaft haben also allen Grund, selbst bei wieder anziehendem LKW-Absatz die komplette Werksschließung und damit eine Katastrophe zu fürchten.
Doch die wirkliche Gefahr scheint nicht von dieser Unternehmenspolitik auszugehen, sondern von 5 ex-Freightliner-ArbeiterInnen, 4 Männern und einer Frau, denen z.Zt. Hasstiraden entgegenschlagen. Glenna Swinford, Robert Whiteside, Alan Bradley, David Crisco und Franklin Torrence wurden vor über einem Jahr fristlos entlassen mit der offiziellen Begründung, sie hätten einen wilden Streik angezettelt. Direkter Anlass für den Rausschmiss war, dass der Vorsitzende der örtlichen UAW, des „locals xxxx“, George Drexel, ein strammer Republikaner, innerhalb weniger Stunden eine 100%ige Kehrtwende gemacht hatte: nach anfänglicher Unterstützung hatte er der Aktion der Belegschaft die Legitimität entzogen – öffentlich. Und damit die gesamte örtliche Tarifkomission (bargaining committee) dem Freightliner-Management ans Messer geliefert und zum Abschuss freigegeben.
Diese Kehrtwende und die dadurch verursachte Katastrophe für die Belegschaft und mehr noch für die Entlassenen hat eine in jeder Hinsicht beeindruckende Vorgeschichte. Die UAW hat im anti-gewerkschaftlichen US-Süden kaum Organisierungserfolge. Auch in den Daimler-Werken wird ein strammer Kurs gegen alle Organisierungsversuche gefahren, entgegen den anders lautenden öffentlichen Erklärungen des Daimler-Vorstands.
Im Daimler-Freightliner Werk Cleveland hatte sich eine Gruppe von engagierten mutigen Gewerkschaftern gefunden, die mit hohem persönlichen Einsatz das Vertrauen ihrer KollegInnen erworben haben.
Damit schufen sie im Freightliner-Werk die Voraussetzung, die in den US-Südstatten vorgeschriebene Abstimmung in der Belegschaft „union or not“ zu gewinnen. Mutig und überzeugt von seiner Sache muss man dort auch sein – immerhin werden jedes Jahr im US-Süden ca. 20000 gefeuert, nur weil sie in ihrem Betrieb den Versuch gewagt haben, eine gewerkschaftliche Vertretung der Belegschaft zu organisieren.
Der hohe persönlicher Einsatz von Bradley, Whiteside, Swinford, Torrence und Crisco wurde auch bei den Gewerkschafts-Wahlen im Frühjahr 2007 honoriert: Sie wurden in die verantwortlichen Gremien gewählt, u.a. das bargaining commitee (Tarifkommission). Von Stund an gingen die Uhren im Freightliner-Werk anders. In jeder Hinsicht: Der neue Gewerkschaftsvorstand folgte jetzt ihrer kämpferischen, der Basis verpflichteten Orientierung. Der „Redneck“-Vorsitzende Drexel und seine Vasallen waren mehr als auf den Schlips getreten – die Vorstellung, dass die Gewerkschaft die Mitglieder im Betrieb seien und nicht der bezahlte Apparat, war eine Bedrohung für ihr Kontrollbedürfnis. Und für das der UAW-Zentrale in Detroit auch. Auch das Management machte sofort deutlich, dass es mit dieser Art von Gewerkschaft im Kriegszustand ist: der neue Vorsitzende des bargaining committee, Robert Whiteside, wurde aus dem großzügigen Büro seines partnerschaftlichen Vorgängers in die die hinterste Besenkammer ausquartiert, die Sekretärin gestrichen.
Im Frühjahr 2007 lief der 2003 abgeschlossene Tarifvertrag aus, nach monatelangen Verhandlungen, in denen die Freightliner-Leitung den Kollegen die kalte Schulter gezeigt hatte. Als sie schließlich machtarrogant den Verhandlungstisch verliess und provokativ erklärte, dass der bevorstehende Feiertag nicht mehr bezahlt werde, weil man im tariflosen Zustand sei, war das Mass voll. Das bargaining committee beschloss, die Belegschaft zu einem Warnstreik aufzurufen – die Friedenspflicht war zu Ende, die Geduld auch. Und die jahrelange Basisarbeit zeigte Wirkung: die KollegInnen gingen raus und standen Streikposten vor dem Tor.
Sogar der Fimenloyale Vorsitzende Drexel schien beeindruckt und und kam nicht umhin, dem bargaining committe und seiner streikenden Mitgliedschaft volle und vorbehaltslose Unterstützung zuzusagen. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf das bargaining committee dann der Rückzieher: wenige Stunden nach seinen heiligen Solidaritäts-Eiden erklärte Drexel öffentlich, der Streik sei beendet, weil nicht vorher von der UAW-Zentrale abgesegnet. Ohne Vorankündigung, geschweige denn eine Diskussion mit dem eigentlich zuständigen bargaining committe. Den Streik öffentlich für illegal zu erklären hieß, die ungeliebten Streikführer dem Freightliner-Management auszuliefern. Die Entlassung aller 11 bargaining committee-Mitglieder folgte auf dem Fuss.
Schon diese Vorgehensweise lässt Kalkül erkennen. Die weitere Entwicklung des Konflikts illustriert den moralischen und politischen Tiefstand UAW. Statt die eigenen, von der Basis gewählten Aktivisten zu stützen, arbeiten sich UAW-Bürokratie und Management gegenseitig zu, um ein offenbar gemeinsames Ziel zu erreichen: die Vertreter einer Gewerkschaftspolitik, die sich nicht an den Rentabilitätsinteressen der Auto-Kapitalien orientiert, sondern an den Interessen, Nöten und Sorgen der Mitglieder, sollen keine Chance mehr haben, dem Management im Weg zu stehen. Nichts kann die UAW-Zentrale heute weniger brauchen, als Gewerkschafter und Locals, die zeigen könnten, dass das „concession bargaining“, das die UAW-Politik seit Jahren prägt, nicht so alternativlos ist wie sie die Mitglieder glauben machen möchte. Deshalb sollen sie auch in ihrer Gewerkschaft, die sie mit aufgebaut haben, mundtot gemacht werden – mit allen Mitteln. Unglaublich, aber wahr ist jedenfalls, dass derselbe Local-Vorsitzende Drexel, der dem bargaining committee bei Streikbeginn die volle Unterstützung signalisiert und ein Info an die Mitglieder zugesagt hatte, dass die Gewerkschaft den Streik trage, in dieses Info das genaue Gegenteil schreiben ließ. Auch sonst lässt er seither jede Regel brechen, die in den Gewerkschaftsstatuten verankert sind. Obwohl entlassene Mandatsträger nach UAW-Statut ihre Wahlfunktionen behalten, also weiterhin die verantwortlichen Verhandlungsführer zu sein hätten, wurden sie von Stund an völlig ausgebootet. UAW-Zentrale und von Drexel eingesetzte Vasallen verhandelten ohne sie weiter. Um die Proteste gegen diese eklatanten Rechtsbrüche vom Tisch zu wischen, ließ Drexel ein Ausschlussverfahren gegen Swinford, Bradley, Torrence, Whitehead und Crisco einleiten. Doch die an den Haaren herbeigezogenen Anschuldigungen wurden vor dem Schiedsgremium für haltlos erklärt und die Mitgliedschaft bestätigt. Kurze Zeit später ließ er ihnen dann schriftlich mitteilen, sie seien aus den Mitgliederlisten gestrichen wegen Beitragsrückständen. Laut UAW- Statut ist aber für entlassene Mandatsträger die Mitgliedschaft beitragsfrei. Selbst jedem „einfachen“ Mitglied müsste vorher schriftlich eine Frist zur Begleichung von Beitragsschulden eingeräumt werden. Was natürlich auch nicht passiert ist. Peinlich nur, dass die 5 ihre angeblichen Beitragsrückstände sofort und bar im Gewerkschaftshaus einzahlten – und quittiert bekamen. Mit diesem Teil dieser abstoßenden Praktiken wird sich Mitte Juni ein US-Bundesrichter zu befassen haben. Nach Ansicht der Anwälte der „Freightliner5“ sind die Chancen gut, dass die mafiosen Rechtsbrecher dabei selbst ein größeres Problem bekommen werden.
Der andere, existentiellere Teil des Problems hält für die Kollegen unverändert an und wird immer größer. Seit fast einem Jahr bekommen sie keinen Lohn, die staatliche Arbeitslosenunterstützung in den USA ist bekanntlich nicht besonders erwähnenswert. Und jeder Cent, den sie von Unterstützern aus der Gewerkschaftsbewegung bekommen, wird für ihre Solidaritäts-und Informationskampagne gebraucht. (www.justice4Five.com).
Das Kalkül des Managements setzte von Anfang an auf Spaltung und Einschüchterung der Belegschaft. Kurze Zeit nach den Entlassungen wurden 6 der 11 bargaining-committee-Mitglieder mit skandalösen Bedingungen wieder eingestellt. Sie mussten auf ihr tariflich verbrieftes Reklamationsrecht (grievance-procedure) gegen jegliche Massnahme des Unternehmens verzichten. Was dem Unternehmen das Recht zur fristlosen Entlassung ohne Begründung und ohne rechtliches Risiko gibt. Weiter mussten sie schriftlich erklären, von den anderen 5 verführt und aufgehetzt worden zu sein. Einer der so wieder eingestellten wurde inzwischen bereits gefeuert. Ein anderer erlitt einen Nervenzusammenbruch, weil er den erpressten Verrat an seinen Kollegen nicht ertragen konnte. Genauso eiskalt wird vom Daimler-Vorstand mit der inzwischen grassierenden Angst um den Arbeitsplatz kalkuliert. Wer wollte sich da noch für die gefeuerten Streikführer aus dem Fenster lehnen, nachdem jetzt mehr als der Hälfte der Belegschaft die Entlassung in Aussicht gestellt wurde und für jeden einzelnen die Frage steht: muss ich gehen oder der Kumpel an der nächsten Station in der Montagelinie? Eine Kleinstadt in North Carolina ist eben kein Ort mit klassenkämpferischer Tradition, an dem ein solches Ausmaß von Bedrohung spontane radikale Solidarisierung statt individualisiertes „Rette sich wer kann!“ hervorbringen würde.
Wohlkalkuliert wird vom Unternehmen und seinen Sozialpartnern in der örtlichen UAW daran gearbeitet, der verängstigten Belegschaft und der Öffentlichkeit in der ‚community’ die angeblichen 5 Radikalen als Blitzableiter für die drohenden Existenzverluste anzubieten. So ließ z.B. das Management am 9. Juni die Fabrik schließen und schickte die komplette Belegschaft ohne Lohn nach Hause, mit der nachweislich falschen Begründung, dass es Materialmangel gäbe. Dann ließ sie das Gerücht streuen, die Fabrik würde aus Sicherheitsgründen geschlossen: man müsse gewaltsame Übergriffe aufs Werksgelände verhindern, die „Justice4Five“-Kampagne habe doch an diesem Tag zu einer Solidaritätskundgebung für die Wiedereinstellung der Freightliner 5 aufgerufen! „Kein Hurrican und keine Blizzard haben es jemals geschafft, diese Fabrik auch nur für ein paar Stunden zum stehen zu bringen. Aber die paar friedlichen Demonstranten sollen allen ernstes so eine Bedrohung sein, dass man alles dicht macht, unsern Kollegen den Lohn nimmt und Bundespolizei aufs Werksgelände holt?!“, sagte Glenna Swinford, überrascht und betroffen, auf der kleinen Kundgebung, die vor allen Solidaritätserklärungen mit einem gemeinsamen Gebet eröffnet worden war.
Am Ende des Tages, nach einigen Diskussionen, war es allen klar geworden: Nein, dieses eiskalte Taktieren macht nicht den Eindruck von Überreaktionen oder einem überforderten Daimler-Management im Werk in Cleveland: „Die machen keinen Schritt allein, da führt der große Bruder im Vorstand in Stuttgart die Hand,“ analysiert Robert Whiteside, der entlassene Vorsitzende der bargaining commission, „was wir hier erleben, ist verbrannte-Erde-Strategie. Die Fabrik in Cleveland soll über kurz oder lang geschlossen und die Produktion nach Mexiko verlagert werden. In unserer Gegend haben die dann sowieso kein Gesicht mehr zu verlieren. Mit unserem Rausschmiss, mit ihrer knallharten Politik gegen uns setzen sie dann wenigstens noch ein weit sichtbares politisches Zeichen und führen den ganzen Südstaaten vor, was passiert, wenn sich hier unten irgendwo einer traut, aufzustehen.“
Zwar gibt es viel Unterstützung für die Freightliner 5 aus allen Ecken der USA und Kanada, auch von ganzen Gewerkschaftsgliederungen. Auf der Kundgebung am 9.Juni sprach z.B. auch Donna de Witt, stellvertretende Vorsitzende der AFL/CIO South Carolina, trotz einiger Pressionen aus der UAW-Spitze. Diese Solidarität reicht jedoch noch nicht aus, und aus der Fabrik in Cleveland selbst braucht Daimler zur Zeit kaum Druck zu befürchten. Umso wichtiger ist der Druck am Heimatstandort des Konzerns in Deutschland. Die Daimler-Koordination hat deshalb Allen Bradley, einen der gefeuerten Gewerkschafter für eine Veranstaltungs-Rundreise an mehreren deutschen Daimler-Standorten eingeladen. Tom Adler, Die Alternative, Daimler Stuttgart
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