Auswirkungen der Unheiligen Allianz von alter Bourgeoisie und Neoliberalen
„Ich weiß, dass sie mich bald umbringen wollen. Aber ich werde nicht nachlassen in meiner Verpflichtung Gott gegenüber und in meinem Dienst an den Menschen.“ Diese Ahnung von Alberto Ramento, des Neunten Obispo Maximo, Erzbischofs der aus dem Kolonialkrieg gegen Spanien hervorgegangenen katholischen Kirche Iglesia Filipina Independiente, sollte sich bewahrheiten. Am 6.Oktober 2006 wurde er ermordet. Für die Regierung ein Fall von Raubmord – doch geraubt wurde nichts! Ramen-to, der zu Lebzeiten sich für streikende Arbeiter und Landarbeiter, die eine Hazienda besetzen, eingesetzt hatte, ist nur ein Opfer unter den mehr als achthundert außer-gerichtlich von Killerkommandos Ermordeten. Der öffentliche Druck hat zwar dazu geführt, dass die Zahl der ermordeten Pfarrer, Journalisten, Gewerkschaftern und Menschenrechtsaktivisten zurückgegangen ist. Doch während des Sommers 2008, als ich für zwei Monate auf den Philippinen zu Gastvorlesungen weilte, gab es allein in einer einzigen Provinz mehr als fünf Gemeindepfarrer, die sich aus Sicherheitsgründen nicht mehr in ihr Pfarrhaus wagten.
Der heraufziehende Zusammenbruch des Kartenhauses des Kasinokapitalismus im September 2008 berührt den Grossteil der Menschen auf den Philippinen zunächst nicht. Ihr Leben war auch ohne und vor der Finanzkrise eine Krise. Sie leben in einer permanenten krisenhaften Lebenslage. Mehr als fünfundfünfzig Prozent, das sind fast fünfzig Millionen Menschen, leben unter der Armutsgrenze und weitere 22 Prozent an der Grenze, so dass Dreiviertel der Menschen faktisch ausgeschlossen sind. Der globale Kapitalismus ist gar nicht so global, wie er sich gern darstellt. Während die Elite in den Metropolen angesichts der Finanzkrise um ihre Einlagen, Aktien und ihr Kapital bangt, geht für die übergroße Mehrzahl der Menschen in diesem Land diese Krise an ihnen vorbei. 80 Prozent der Familien haben gerade einmal 243 Pesos am Tag, umgerechnet etwa 3,80 Euro. Wenn man berücksichtigt, dass der Preis für das Grundnahrungsmittel Reis innerhalb kurzer Zeit im letzten Jahr von 25 Pesos pro Kilo auf 39 bis 40 Pesos gestiegen ist, bedeutet das Hunger für Hunderttausende! Demonstrationen und Aufstände versucht die Regierung durch subventionierte Reisvergabe an Arme abzufangen. So bietet der Staat bietet verbilligten Reis für 18 bis 20 Pesos an. Ganz oben sitzt eine kleine Elite von kaum mehr als 300 Familienclans, die ihre politischen und wirtschaftlichen Privilegien schützen und verteidigen. Allenfalls diese Oberschicht und die kleinen Mittelschicht von kaum mehr als fünfzehn Millionen Konsumenten ist in die Ökonomie eingebunden.
Die Reichen reicher, die Armen ärmer
Die Philippinen können für das Jahr 2007/2008 mit ca. 5 Prozent Wirtschaftswachs-tum die längste Phase des ökonomischen Wachstums in ihrer ganzen Geschichte verzeichnen. Während die Kapitalbesitzer auf dem Kapital- und Aktienmarkt ihre Ein-lagen von 4,8 Millionen Pesos von 2002 bis 2008 auf 18,4 Mill. Pesos steigern konn-ten, wuchsen auch Armut und Arbeitslosigkeit. Wenn zwischen 2003 und 2006 An-zahl der von Armut betroffen Haushalte von 30 auf 32,9 Prozent angestiegen ist, bedeutet dies dass jetzt 800.000 Familien oder 4,4 Millionen Menschen mehr in Ar-mut leben. Die Statistik weist aus, dass seit April 2007 allein 240.000 ihren Job verlo-ren haben. Diese Entwicklungen zeichnen sich auf dem Hintergrund eines außeror-dentlich robusten Wirtschaftswachstums von 7,3 Prozent seit 2007 ab.
Die Regierung hat ihre Haushaltspolitik auf das Ziel ausgerichtet, einen ausgeglichen Haushalt zu erreichen oder sogar einen Haushaltsüberschuss. Um dieses Ziel verfol-gen zu können, unterliegt die Haushaltspolitik einer rigorosen Ausgabenkürzung. Grund für diese Haushaltspolitik ist die unbedingte Verpflichtung, den Schuldendienst zu leisten. So macht der Schuldendienst – ohne dass es zu Tilgung kommt – ein Drit-tel des Haushaltsbudgets aus. Dies aber bedeutet, dass diese Gelder ins Ausland, in den Norden abfließen. März 2008 betrug die Auslandsverschuldung US $ 54,6 Milli-arden. An Schuldendienst haben die Philippinen in der Zeit von 2001 bis 2007 US $ 52,5 Milliarden geleistet. Der Schuldendienst frisst einen großen Teil des Haushalts und entspricht in seiner Höhe dem Umfang der Ausgaben, die für Erziehung und Ge-sundheit aufgebracht werden können. Von jedem Dollar, den die Überseearbeiter ins Land überweisen, fließen 51 Cents wieder in den Norden als Schuldendienst zurück.
„Nestlé kills workers“
Mit diesem Slogan kämpfen seit sieben Jahren streikende Nestlearbeiter um ihr Recht. Dreimal haben sie vor dem Obersten Gerichtshof Recht bekommen, doch der Nestlékonzern ist so mächtig, dass er sich über die Rechtsprechung hinwegsetzen kann. Die Streikenden werden einem unglaublichen Druck ausgesetzt. So kam der Präsident der streikenden Gewerkschafter auf mysteriöse Umstände ums Leben, die die Streikenden nur als Mord deuten können. Die Härte der Arbeitskampfauseinan-dersetzung haben die Streikenden deshalb auch in dem Motto ausgedrückt: „There is blood in your coffee.“ Mit diesem Motto haben die streikenden Nestléarbeiter einen Boykott initiiert. Die Lage der Streikenden bei Nestlé schien mir bei einem Besuch schier hoffnungslos. Doch nicht so für die Streikenden. Sie stehen alle auf einer Schwarzen Liste, doch nicht nur sie, auch ihre Kinder. So finden sie - obwohl gut qualifiziert - keine Arbeit und müssen sich irgendwie durchschlagen oder von ihren Familien am Leben erhalten lassen. Einige sind derweil bereits krank geworden, da sie sich Medikamente nicht mehr leisten können. Selbst zum Streiken fehlt Geld, denn sie müssen irgendwie jobben, um ihre Familien am Leben halten zu können. Und so findet der Streik jeweils einmal wöchentlich mit Kundgebungen und Demonst-rationen vor den Werkstoren statt. Längst hat Nestlé die Streikenden mit Zeitarbeiter ersetzt, die einen Lohn bekommen, der nicht einmal die Hälfte des Lohnes der Strei-kenden ausmacht. Die Streikenden hatten einen Lohn vom 900 Pesos am Tag (ca.13,80 Euro), die Kontraktarbeiter gerade einmal 400 Pesos (ca. 6,20 Euro). Der Konzern hat jetzt Militär aufs Firmengelände geholt und mehr als zweihundert Solda-ten kaserniert. Die Nestlé-Arbeiter brauche Unterstützung, denn sie sind nach sechs Jahren Streik in einer schwierigen Lage, auch wenn sie nicht aufgeben! Auf ihrer Website ist der Arbeitskampf dokumentiert: http://www.youtube.com/user/austinaims2008
Exportproduktionszonen – kapitalistisches Wunderland
Die Philippinen sind ein Paradies für neoliberale Investments. In Exportproduktionszonen arbeiten über eine halbe Millionen Menschen. Arbeit ist billig, die Arbeiter-schutzgesetze wurden dereguliert. Die gesetzliche Arbeitszeit beträgt acht Stunden, doch in den Zonen sind 12 Stunden die Regel, manchmal bis 16 Stunden und das bei sieben Tagen in der Woche. Mehr als 500 solcher Zonen gibt es im Lande. In Cavite, nahe Manila, befindet sich die größte Export Production Zone, mehr als 280 Betriebe und ca. 80.000 Beschäftigte. Etwa dreiviertel der Beschäftigten sind Kon-traktarbeiter, Zeitarbeiter mit einem Vertrag von manchmal nur einem Monat. Diese Exportproduktionszonen sind ein Eldorado für neoliberale Investitionen. Die Löhne sind niedriger, oftmals unter dem Minimumlohn, die Arbeitszeiten länger, ein Steuerparadies – die ersten fünf Jahre steuerfrei und wenn die Anlagen erweitert werden, dann wird die Steuerbefreiung auch erweitert, und keine Sozialabgaben für irgendetwas. Das Streikrecht ist außer Kraft gesetzt. Chemische Produkte, die in der ersten Welt verboten sind, werden hier ungeniert verwendet, wie TCE, Triochlorethylen. Die Regierung hat die Investoren ins Land geholt und hat ihnen gleichsam ein extraterritoriales Gebiet zur Verfügung gestellt. Bei Arbeitskämpfen greift die Polizei nicht ein, um Rechtsverstöße zu ahnden, doch auf dem Gelände sind Militäreinheiten stationiert, die Arbeiter unter Schach zu halten. „Industrial peace“ nennt die Regierung dies. Die Mitarbeiter im Worker’s Assistance Center lassen sich aber nicht entmutigen, auch wenn ein Mitarbeiter nach zwei Mordversuchen im März 2008 ermordet wurde. „Es ist kein Job, was wir hier machen, sondern eine Berufung,“ erklärt eine Mitarbeiterin.
Frauen aus einem Textilbetrieb berichten mir, dass die Normalarbeitszeit von acht bis zwölf Stunden ohne Zuschläge heraufgesetzt wurde. Wenn die Auftragslage es er-fordert, dann arbeiten sie bis zu sechszehn Stunden ohne einen freien Tag in der Woche. Auch wenn dies den philippinischen Arbeitsschutzgesetzen widerspricht, die Arbeiterinnen können ihr Recht nirgendwo einklagen. Die billige Massenware auf den Wühltischen der Kaufhäuser, aber auch der rasante Verfall der Elektronik- oder Computerprodukte ist der Preis für die Verschärfung der Arbeitsbedingungen. So sind wir Konsumenten im fernen Europa Nutznießer der Ausbeutung der Arbeitskraft der Menschen auf den Philippinen. Die Deregulierung der Arbeitsschutzgesetze hat dazu geführt, dass mittlerweile fast Dreiviertel aller Beschäftigungsverhältnisse befristet sind. Als befristet beschäftigte Kontraktarbeiter verdienen sehr viele zudem weniger als den gesetzlichen Mindestlohn. Diese Deregulierung der Arbeitsbedin-gungen hat die Gewerkschaften nachhaltig geschwächt. Wer nämlich befristet be-schäftigt ist, der wird kaum für bessere Bedingungen streiken. Man muss jung sein in diesen Fabriken in den Exportproduktionszonen. So hat die deutsche Textilfirma Tri-umph erzwingen wollen, dass alle Arbeiter - unabhängig von ihrem Alter – kündigen, soweit sie länger als 20 Jahre beschäftigt sind.
Im Großraum Manila deckt der durchschnittliche Mindestlohn gerade einmal ein Drittel der durchschnittlichen Lebenshaltungskosten für eine Familie ab. Der errechnete Lebensunterhalt für eine Familie beträgt 871 Pesos (ca. 13,50 Euro), aber der Min-destlohn hat die Höhe von lediglich 382 (ca. 6 Euro) Pesos. Im Institut für Gewerkschafts- und Menschenrechte beklagen die Mitarbeiter, dass es eine Militarisierung der industriellen Beziehungen gibt. Immer mehr Militärs werden einbezogen oder auf Firmengelände stationiert. Neben Nestlé sind die Belegschaften in Konzernen wie Toyota oder Nissan unter ständiger Beobachtung von Militär. Ich möchte wissen, wie es um die Sicherheit der Mitarbeiter des Instituts bestellt ist, wenn sie Streiks und Menschenrechtsverletzungen dokumentieren und publizieren. „Wir sind gefährdet und an der Feuerlinie. Aber wir leben noch.“ So die lapidare Antwort.
Die Exportzonen sind für die Gewerkschaften Beleg für eine Form des Neokolonia-lismus. Viele Konzerne haben in der Exportproduktionszone ihren Betrieb geschos-sen und ihn nach Thailand, Vietnam, Burma, oder China verlagert. Dabei geht es den Arbeiter insgesamt in China besser, auch wenn die Löhne dort niedriger sind, denn in China haben Arbeiter kostenlosen Zugang zum Schulsystem, zu Bildungseinrichtungen und sozialen Sicherungssystemen wie den Gesundheitsdiensten.
Voller Stolz zeigen mir Arbeiterinnen ihre bescheidene Wohnung. Sie sind stolz mit-ten in dieser Armut. Die Wohnung von Cecille und ihren vier Kindern ist gerade ein-mal 18 qm groß. Bei dem letzten Kampf um das Recht auf einen Tarifvertrag wurde sie von der Polizei krankenhausreif geschlagen. Sie arbeiten in einer Textilfabrik. Obwohl der staatlich festgesetzte Mindestlohn bescheidene 298 Pesos, (etwa 4,60) beträgt, hat der Multi diesen Hungerlohn noch einmal gedrückt auf 223 Pesos (etwa 3,35 Euro). Die Regierung sorgt nicht für eine Einhaltung der verbrieften Rechte. Deshalb müssen die Arbeiter und Gewerkschafter selber für ihr Recht kämpfen. Die Regierung lässt die Arbeit in diesem Kampf nicht nur allen, sie schützt auch noch die Unternehmen, die Recht brechen und stellt ihnen bewaffnete Polizei- oder Militärein-heiten zur Verfügung.
Arbeitskräfteexport
Die weltweite Nachfrage nach weiblichen Arbeitskräften als Krankenschwestern und Haushaltshilfen steigt. Mehr als 400.000 Krankenschwestern werden jährlich im Land ausgebildet. Fast zehn Prozent der Bevölkerung ist im Ausland beschäftigt – Kran-kenschwester, Putzmädchen, Haushaltshilfen, besonders Frauen, aber auch Seeleu-te. Die Gesamtzahl der Überseearbeiter entspricht einem Viertel der beschäftigten Filipinos oder einem Fünftel der Erwerbsbevölkerung. Die Philippinen sind das Land mit dem größten Export von Arbeitskräften. Dieser Arbeitskräfteexport „lohnt „sich ökonomisch. Die Überweisungen der im Ausland tätigen Filipinos betragen nämlich 12 bis 13 Prozent des philippinischen Bruttosozialprodukts. Die Botschafterin der Phi-lippinen in der Bundesrepublik Deutschland hat auf einer Konferenz im September dieses Jahres in Manila die Auswirkungen der Finanzkrise auf die Beschäftigung ge-rade von Frauen im Ausland beklagt. Botschafterin Albert sprach von einer „Femini-sierung der Globalisierung“. Ein steigender Prozentsatz, nunmehr über sechzig Pro-zent der „Übersee-Arbeiter“, seien weiblich. Im Jahr 2007 seien 8,37 Millionen im Ausland beschäftigt. Im Jahr 2007 haben 1,7 Millionen Filipinos das Land verlassen. Tag für Tag sind es mehr als 3000 Filipinos, die auf der Suche nach einer Beschäftigung zur Sicherung des Lebensunterhaltes das Land verlassen. Die Direktorin einer Schule erzählt mir, die Stelle als Haushaltshilfe in London anzunehmen, da sie von ihrem Einkommen auf den Philippinen nicht mehr leben könne.
Überall im Land wird für Krankenschwesterausbildung geworden. Die philippinischen Frauen haben einen Traumberuf – im Ausland. Die Studiengebühren müssen sie selber zahlen. Und der reiche Norden kann sich Investitionen in die Krankenpflege-ausbildung sparen! Was aber sind die gesellschaftlichen Kosten, wenn die Frauen oder die Mutter von so vielen Kindern gezwungen ist, im Ausland zu jobben, um den Unterhalt der Familien zu erwirtschaften?
Unheilige Allianz von alter Bourgeoisie und den Neoliberalen
Die Philippinen hatten vor nur vierzig Jahren nach Japan den zweithöchsten Lebensstandard Asiens. Doch jetzt sind sie auf das Niveau von Bangladesh zurückgefallen, während ringsherum die Asiatischen Tiger wirtschaftlich boomen. Wie konnte es zu diesem Rückfall kommen, obwohl das Land reich an Bodenschätzen, Mineralien und Öl ist? Ein Erklärungsmuster für den rasanten Aufstieg der sog. asiatischen Tiger mit ihrem exorbitanten Wirtschaftswachstum liegt darin, dass die Entwicklungsdiktaturen den Konfuzianismus als Staatsideologie eingeführt haben. Die konfuzianischen Wer-te der Genügsamkeit und Unterordnung, der Askese und Genügsamkeit bilden ein Funktionsäquivalent zu den „protestantischen Tugenden“, die Max Weber für die Entwicklung des europäischen Kapitalismus ausgemacht hat. Die alte spanisch ge-prägte Elite hat kein Interesse an einer ökonomisch-industriellen Entwicklung des Landes. Sie würde ihre Machtbasis in den angestammten Haziendas und riesigen Ländereien verlieren. Es ist leichter Geld durch Import zu verdienen als durch Investi-tionen. Der Vergleich mit dem wirtschaftlich aufblühenden Malaysia zeigt den Unterschied. Während in Malaysia fünfundzwanzig Prozent des Bruttosozialproduktes reinvestiert werden, sind es in den Philippinen gerade einmal ein Prozent. Fünfzig Prozent der Kapitaleinkünfte stammen aus dem Ausland von den „exportierten Ar-beitskräften“. Auf den Philippinen hat der Neoliberalismus eine tiefe Schneise ge-schlagen. Er konnte an die im Land existierenden semi-feudalen Strukturen an-schließen. Die alt eingesessene Elite, die traditionelle Bourgeoisie seit der Zeit der spanischen Kolonie, hatte das Land immer schon als Beute für sich betrachtet. Sie ist eine unheilige Allianz mit der neuen, der neoliberalen und global agierenden Elite eingegangen, die Staat und Gesellschaft verachtet.
Die philippinische Elite besteht aus den reichen und politisch einflussreichen Dynas-tien, den Oligarchen. Die zwanzig reichsten Personen haben ein Netteinkommen von $ 15,6 Milliarden, das entspricht dem Jahreseinkommen von 52 Millionen Filipinos. Wer die Ökonomie beherrscht, der kontrolliert auch die politische Macht. Die Eliten rekrutieren sich aus sich selbst. Gern folgt sie zu ihrem Nutzen dem Diktat der Globa-lisierung. Privatisierung. Liberalisierung und Deregulierung haben die bereits beste-henden sozialen Krisen in den Philippinen noch einmal verschärft. So ist beispiels-weise seit der Privatisierung der Wasserversorgung der Wasserpreis in Manila um vierhundert Prozent gestiegen.
Die Finanzkrise erschüttert nicht allein das Zentrum. Der frühere Mitarbeiter des in-ternationalen Währungsfonds und jetzige Professor an der National University of Singapur bekräftigte auf einer Konferenz im September in Manila, dass die Reagan Revolution vorüber sei und mit ihr die Ideologie, dass die beste Form der Regierung „weniger Staat“ sei. Der Verantwortliche des Internationalen Währungsfonds für A-sien kommt zu der späten Einsicht, die in der Manila Times zitiert wird: „Wir erkennen jetzt, dass wir gutes Regierungshandeln und Regulierung brauchen und den Markt nicht sich selbst überlassen dürfen.“ Zurückblickend gesteht er ein: „Es gab eine Zeit, als man die guten Standards für Regulierungen kannte. Nun weiß das niemand mehr. Alle stellen jetzt die fundamentale Frage: Wie sollen wir regulieren?“
Systematische Menschenrechtsverletzungen Philippinische Menschenrechtsorganisationen haben den UN-Menschenrechtsrat aufgefordert, auf die Regierung einzuwirken, die außergerichtlichen Hinrichtungen und Menschenrechtsverletzungen zu stoppen. Der Sonderberichterstatter des UN-Menschenrechtsrates Philipp Alston ist in einem Sonderbericht zu dem Ergebnis ge-kommen, dass in vielen Fällen staatliche Sicherheitskräfte in die Ermordung von lin-ken Aktivisten, Anführern der Urbevölkerung, Gewerkschaftsführern und Kirchenleu-ten verwickelt sind, auch wenn das Militär diese Ermordungen beharrlich leugnet. Allein in diesem Jahr 2008 sind bereits mehr als dreizehn Fälle dokumentiert. Gerade aus den Philippinen Anfang Oktober zurückgekehrt, bekomme ich eine Mail, in der von der Verschleppung eines Führers einer NGO berichtet wird, der sich gegen die Abholzung im Norden der Philippinen gerichtet. Er ist verschleppt worden. Niemand weiß wohin.
Im Zentrum für Gewerkschafts- und Menschenrechte berichtet man mir von mehr als 107 dokumentierten Fällen von Verletzungen von Menschenrechten im Jahr 2008. Allein 21 Verstöße gegen Gewerkschafter und eine Tötung. Betroffen waren über 20.000 Arbeiter unter ihnen ca. 5000 Frauen. Die systematischen Menschenrechts-verletzungen sind nichts anderes als ein Instrument zur Verteidigung der bestehen-den Ordnung.
Im Krieg
Die Philippinen bilden die zweite Front der US im Kampf gegen den „Terrorismus“. Sie sind ein wichtiger Alliierter dank der lang bestehenden ökonomischen und politi-schen Abhängigkeit von den USA. Die Präsens der US-amerikanischen Truppen wurde ausgebaut. Auch wenn es offiziell verneint wird, so ist doch allen klar, dass die US in den Krieg in Mindanao involviert sind. Die USA haben ihre Militär- und Wirtschaftshilfe seit dem 11. September 2001 auf US7.8 Mrd. verdreifacht und sind im ganzen Land präsent. Es gibt große Lager an Öl und anderen Bodenschätzen. Es gibt derzeit keinen Krieg zwischen Christen und Muslimen, wie er so gern darge-stellt wird. Die im Land ansässigen Muslime verteidigen ihre Bodenschätze gegen eine Regierung, die das Land und seine Ressourcen den global agierenden Konzernen ausliefert. Seit der Eroberung der Philippinen im 16. Jahrhundert kämpfen die Muslime um ihr Recht. Die Iglesia Filipina Independiente, der Erzbischof Ramento angehörte, sagte zum Konflikt in einer Erklärung am 21.08.2008: Die politische Unruhe und der bewaffnete Konflikt haben ihren Grund vorrangig in Ungerechtigkeiten wie Habgier, Korruption, Verlogenheit, Betrug und Verletzung der Menschenrechte.“
Nachtrag:
Während ich diesen Bericht über meine Erfahrungen auf den Philippinen schreibe, bekomme ich eine Mail. Jerry berichtet darin von einem Menschenrechtsforum, das er zur Erinnerung an die Ermordung von Erzbischof Ramento veranstaltet hat. Er schließt mit der Bemerkung: „Der Intelligence Service ist beim unbefugten Betreten unseres Seminars bemerkt worden. Ich habe angeordnet, vorsichtig zu sein und die Sicherheitsmaßnahmen zu erhöhen.“
Franz Segbers Prof. für Sozialethik, Universität Marburg
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