Gründung mit Forderung nach neuem Arbeitsgesetz verbunden. Präsident Chávez sagt Beschleunigung mittels Sondervollmachten zu
14.11.2011
La Guaira, Venezuela. Mehr als 3.500 Gewerkschaftsdelegierte aus ganz Venezuela haben am vergangenen Donnerstag an einem Gründungskongress eines neuen Gewerkschaftsdachverbandes teilgenommen. Im Sportstadion José María Vargas in La Guaira nahe Caracas gründeten sie den Sozialistischen Gewerkschaftsverband der Arbeiterinnen und Arbeiter von Venezuela (CST). Bei dem Treffen betonten Gewerkschafter die Notwendigkeit der Schaffung einer "einheitlichen, sozialistischen und bolivarischen Gewerkschaft der Arbeiter und Arbeiterinnen der Städte, der ländlichen Gebiete und der Küste". Diese solle nicht nur die Konflikte des Arbeitslebens lösen, sondern ebenso die Revolution stärken. Zum Präsidenten des neuen Verbandes wurde der Gewerkschaftsführer der Erdölarbeiter Will Rangel gewählt.
Mit dem Gründungskongress schließe sich der Kreis, der Anfang des Jahres mit der Mobilisierung der Arbeiterschaft für ihre Einheit und für die Forderung nach einem neuen Arbeitsgesetz begonnen hat, sagte der nationale Koordinator der Strömung "Gewerkschaftsautonomie" (Autonomía Sindical), Orlando Castillo. Weitere Vorsitzende von Einzelgewerkschaften forderten ebenfalls die Verabschiedung eines neuen Arbeitsgesetzes. Dieses sei zentral, um die Erfordernisse im Arbeitsbereich anzugehen wie es die Durchsetzung kollektiver Arbeitsverträge gewesen sei.
Der Präsident der neuen Gewerkschaft erklärte die Schaffung einer Präsidialkommission zur Ausarbeitung des neuen Arbeitsgesetzes zu einem unmittelbaren Ziel der CST. Man lade Privatunternehmer, Juristen und alle gesellschaftlichen Sektoren ein, an einer Debatte über das Gesetz teilzunehmen, sagte Will Rangel. Weiter lud er alle Gewerkschafter und Arbeiter ein, sich der CST anzuschließen, um die "Einheit der arbeitenden Massen" zu erreichen. Bisher seien 17 Verbände, zwölf Gewerkschaften des Landes und verschiedene Arbeitergruppen eingetreten.
Die grundsätzlichen Ziele der CST seien ein neues Modell gewerkschaftlicher Organisation, die Beseitigung der sozialen Spaltung der Arbeit und der "Kampf gegen das kapitalistische Modell der Ausbeutung der Arbeiterschaft". Die Mittel dazu seien "die Garantie der Arbeitsrechte, die Wertbeständigkeit der Löhne, die Ausweitung der Bildung und politischen Partizipation der Arbeiterklasse und die Förderung der Debatte über den notwendigen Wandel, um eine gerechtere und egalitäre Gesellschaft zu erreichen", so Rangel.
Im Vorfeld der Konferenz forderten deren Initiatoren Präsident Hugo Chávez auf, die Reform des Arbeitsgesetzes zur Chefsache zu erklären. Eine Demonstration des Gewerkschaftsverbandes UNETE, die für den selben Tag der Konferenz in Caracas angesetzt war, erhob die gleiche Forderung. Chávez reagierte und erklärte, seine Aufgabe sei es, "dem Mandat durch das Volk und die Arbeiter zu entsprechen". Er verwies auf die Verfassung von 1999, die der Nationalversammlung auferlegt, das alte, noch unter dem Einfluss des Internationalen Währungsfonds (IWF) geschaffene Arbeitsgesetz zu reformieren. Die Nationalversammlung hat die Reform trotz einer zeitweisen Zweidrittelmehrheit im Parlament nicht verabschiedet. Chávez gab nun bekannt, dass er mittels der Sondervollmachten, die ihm von der Nationalversammlung noch bis Mai nächsten Jahres verliehen sind, ein neues Arbeitsgesetz durchsetzen werde.
Die Vorstellungen eines neuen Arbeitsgesetzes sind in Gewerkschaftskreisen unterdessen sehr unterschiedlich. Sie reichen von der bloßen Regelung sozialer Leistungen und Arbeitszeiten bis hin zur gesetzlichen Verankerung der Arbeiterkontrolle in den Betrieben. Nicht zuletzt deswegen ist die Gründung des neuen Gewerkschaftsverbandes in Kreisen der organisierten Arbeiterschaft nicht unumstritten. Die Nachteile der vielen betrieblichen Einzelgewerkschaften werden allgemein anerkannt. Auch der schon existierende Dachverband UNETE konnte sie jedoch nicht zusammenführen. Manche Kritiker sagen der aktuellen Neugründung darüber hinaus eine zu enge Anbindung an die Regierungspartei PSUV nach. Dieser wird eine zweifelhafte Position zur Frage der Arbeiterkontrolle in den nationalisierten Betrieben vorgeworfen.
Die enge Anbindung an die PSUV kann auch in Widerspruch zu älteren Äußerungen von Chávez gesehen werden, dass die PSUV sich aus der Organisierung der Gewerkschaften heraushalten solle. Auch ein Strategiepapier der PSUV selbst, das unter dem Eindruck der mäßigen Ergebnisse bei den Parlamentswahlen im September 2010 geschrieben wurde, plädierte noch dafür, der Förderung der Eigeninitiative der gesellschaftlichen Basis Vorrang vor dem Führungsanspruch der Partei zu geben. Die Urheberschaft dieser Linie wird ebenfalls Chávez zugeschrieben. Dieser zieht häufig die direkte Kommunikation mit den Organisationen der Basis Vorgaben durch die Partei vor.
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