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Kolumbien - internationale Solidarität dringend notwendig!
08.02.2004 | 17:25 Uhr

Kolumbien - internationale Solidarität dringend notwendig!
Gewerkschaftsarbeit kann sich nicht nur auf das nationale Terrain beschränken. Gerade wenn selbstverständliche Gewerkschaftsrechte eingeschränkt sowie aktive GewerkschafterInnen massenhaft bedroht und ermordet werden, dann ist internationale Solidarität gefordert.

Von Hans Peter Schmutz, Bern (Mitglied Interessengruppe Bauplanung)

Drei Gewerkschafter der GBI (Schweizer Bau + Industriegewerkschaft) reisten im Rahmen einer grösseren deutsch/schweizerischen/ brasilianischen Delegation diesen Herbst nach Kolumbien um in Bogotá und in zwei andern Regionen Näheres über die schwierige Situation von kolumbianischen Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen zu erfahren, darüber zu diskutieren und natürlich vor allem auch in den jeweiligen Ländern gemäss den eigenen Erfahrungen zu informieren.

Juan Carlos Galvis, der uns vom Flughafen Barrancabemejas abholt, ist ein vielbeschäftigter Mann. Er ist Arbeiter bei Coca Cola, Vizepräsident der Nationalen Nahrungsmittelgewerkschaft SINALTRAINAL und Präsident des Gewerkschaftsdachverbandes CUT, Sektion Barrancabermeja. Zwei gepanzerte Autos - die Regierung stellt solche Autos für die am meisten gefährdeten GewerkschafterInnen zur Verfügung - mit entsprechenden Bodyguards stehen bereit. Zusammen mit unseren Kollegen der brasilianischen Gewerkschaften werden wir ins Stadtzentrum gefahren. Das Gefühl ist etwas mulmig, wir wissen noch nicht recht, was uns in dieser - von den Militärs und den Paramilitärs kontrollierten - Gegend alles erwartet.

Dagegen wissen wir bereits, dass auf den Kollegen Galvis am 22. August 2003 ein Attentat verübt wurde; ein Mann schoss zweimal auf ihn, verfehlte jedoch sein Ziel. Einige Tage vor unserer Ankunft - wir waren noch in Bogotà - erhielt Galvis zusätzlich eine anonyme telefonische Morddrohung.

Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen haben einen schweren Stand
Im spartanisch eingerichteten Gewerkschaftslokal sollen wir auf Vertreter einer ausländischen Menschenrechtsorganisation aus den Vereinigten Staaten treffen. Vorher wird uns Daniel vorgestellt, ein junger Journalist aus Deutschland, welcher im Rahmen eines internationalen Netzwerkprojekts für eine bestimmte Zeit Gewerkschafter begleitet. Dieses Projekt nennt sich „embajada de solidaridad“ und hat seinen Sitz in Bogotá. In diesem Haus, das als Botschaft für Solidarität funktionieren soll, werden die Begleitungen organisiert. Diese, so wird uns gesagt, sind für die gewerkschaftliche Arbeit sehr wichtig. Die Gewerkschafter - wir haben bis jetzt fast nur Männer angetroffen - fühlen sich sicherer, wenn sie durch ausländische Begleitpersonen unterstützt werden.

Die zwei VertreterInnen der oben erwähnten Organisation erzählen uns von ihrer Arbeit. Sie versuchen den Leuten durch ihre Präsenz in verschiedenen Gebieten in der Region Barrancabermeja etwas den Rücken zu stärken. Dies ist nicht immer einfach, der kolumbianische Präsident Uribe hat in einer Rede sogar die Menschenrechtsorganisationen als Helfer des Terrorismus bezeichnet. So ist es kein Wunder, dass die jungen Freiwilligen aus den USA von den Paramilitärs zum Teil beschuldigt werden, mit der Guerilla zusammenzuarbeiten. Die Lage um Barrancabermeja ist sehr schwierig. Die Infrastruktur ist ungenügend, in einigen Dörfern funktionieren die Schulen nicht, es gibt Probleme mit Wasser und Strom. Für sehr viel Unruhe sorgt auch de Umstand, dass Leute zum Teil einfach verschwinden. So wird uns berichtet, dass ein Lehrer, welcher in einem Gebiet unterrichtete, welches von der Guerilla kontrolliert wird, von den Paramilitärs ermordet wurde. Es gibt jedoch auch Fälle, wo die Bevölkerung glaubt, die Guerilla sei für das Verschwinden von Personen verantwortlich.

Bei verschiedenen anderen Menschenrechtsorganisation erfahren wir mehr über die schwierige Lage in der Region. So gibt es ein Gebiet, die Region „Valle Cimitarra“, die praktisch nicht mit Medikamenten versorgt werden kann. Weil die Medikamente nach Meinung der Behörden zu den Guerillas gelangen könnten, wird kurzerhand jegliche Lieferung unterbunden. Das Nachsehen haben die Bäuerinnen und Bauern in diesem Gebiet.

Es wird jedoch nicht nur geklagt, sondern wir diskutieren auch Lösungsmöglichkeiten, um aus der heutigen Situation herauszukommen. An zentraler Stelle stehen die vordringliche Landreform zu Gunsten der kleinen Bauern, die Notwendigkeit von Verhandlungen über den bewaffneten Konflikt sowie die Vereinbarung zu einem gerechten Frieden und nicht zuletzt wird auch über die Neuwahl der Regierung gesprochen, denn das Regime mit Uribe setzt ausschliesslich auf repressive 'Lösungen'.

Am Fest des Friedens
Am Samstagabend nehmen wir in einem ärmeren Quartier von Barrancabermeja - sinnigerweise heisst es Versailles! - am Fest des Friedens teil. Bei unserer Ankunft sind bereits viele Leute eingetroffen. Wir wohnen den Vorstellungen verschiedener Tanzgruppen bei und die QuartierbewohnerInnen tanzen zu lokalerer Musik. Es gibt aber auch Gruppen, welche mit einem Rap ihre Anliegenn ausdrücken. Galvis sagt uns, dass er schon lange nicht mehr an einem solchen Fest gewesen sei. Viele Leute kennen ihn, und er wird oft angesprochen. Er und seine Partnerin, welche für die bekannte Frauenorganisation Organización Feminina Popular arbeitet, sind jedoch auch angespannt. Trotz Anwesenheit der Bodyguards schauen sie sich oft um, es scheint, dass sie das Fest nicht unbeschwert geniessen können. Es ist offensichtlich, dass man nie weiss, wann etwas passieren kann. Dies gilt auch für Versailles als ein Quartier, in welchem die Bevölkerungsmehrheit nicht mit den Paramilitärs gemeinsame Sache macht. Trotz der schwierigen Situation faszinieren uns die dargebotenen Tänze, und wir staunen über die Festfreunde der QuartierbewohnerInnen.

Sitzungen - auch am Sonntag
Coca Cola hat angekündigt, neun Produktionsstätten in Kolumbien zu schliessen, eine davon in Barrancabermeja. 120 Mitarbeitende sollen entlassen werden. Offenbar werden gerade diejenigen Fabriken geschlossen, in denen die Gewerkschaft am stärksten ist. Wir erhalten die Gelegenheit, an einem Sonntagmorgen einer Sitzung der GewerkschafterInnen von SINALTRAINAL beizuwohnen. Zuerst wird eine Art Auslegeordnung gemacht, um zu schauen, was die ArbeiterInnen über die aktuelle Lage denken. Nachher wird diskutiert, was gemacht werden könnte. Die Leute sind aufgebracht und die Diskussion hitzig. Am Schluss ist es klar, dass sich die Mehrheit gegen die Entlassungen wehren will, unter anderem auch auf juristischem Weg. Die Kollegen aus Brasilien und wir versuchen, den ArbeiterInnen dieser Coca Cola-Fabrik Mut zu machen, was angesichts der aktuellen Lage nicht leicht fällt - umso mehr wenn man bedenkt, welchen Druckversuchen die Angestellten von Coca Cola ausgesetzt sind und dass mehrere GewerkschafterInnen, welche in Kolumbien bei Coca Cola arbeiten, Todesdrohungen erhalten haben, andere wurden bereits ermordet.

Am Nachmittag nehmen wir an einer Koordinationssitzung aller Organisationen von Barrancabermeja, welche etwas mit Menschenrechten zu tun haben, teil. Vertreten sind natürlich auch die Gewerkschaften. Es wird ein Bericht diskutiert, welcher am Montag mit dem Vizepräsidenten Kolumbiens besprochen werden soll. Die wichtigsten Punkte sind die Verteidigung der Versammlungsfreiheit und das Zurückdrängen der Paramilitärs.
Heute ist es vielfach so, dass ein(e) ArbeiterIn entlassen wird, wenn dieser(r) bloss mit einem Gewerkschaftsfunktionär spricht! Was uns auch sehr beunruhigt ist, dass die Paramilitärs offenbar mit vielen Firmen und sogar mit der Stadtverwaltung Verträge haben. So wird zum Beispiel die Personaleinstellung in der staatlichen Erdölraffinerie Ecopetrol durch die Paramilitärs kontrolliert.


Die zweifelhaften Methoden von Ecopetrol
Am Montag heisst es früh aufstehen. Vor den Toren von Ecopetrol - der grössten Raffinerie in Kolumbien - ist eine Demonstration angesagt. Bereits eingetroffen ist auch ein belgischer Gewerkschafter aus der Chemiebranche, dessen Gewerkschaft sehr eng mit der kolumbianischen Gewerkschaft der Erdölindustrie, der USO, zusammenarbeitet. Die Basismitglieder seiner belgischen Gewerkschaft unterstützen die kolumbianischen KollegInnen aktiv und auch finanziell. Das Ziel der Demonstration ist es, gegen die Missstände, welche in dieser Raffinerie an der Tagesordnung sind, zu protestieren. Nach einer längeren Wartezeit dürfen wir auch auf dem Raffineriegelände einen Augenschein nehmen und per Bus durch das Gelände fahren, natürlich immer begleitet von Sicherheitspersonal. Überhaupt ist das Gelände sehr gut bewacht: Auf dem Gelände sind sowohl Polizeikräfte wie auch Militär stationiert. Die Paramilitärs sind zwar nicht auf dem Firmengelände präsent, jedoch in der Nähe.

Sehr eindrücklich ist auch der Besuch von zwei Zentren für 'aufmüpfige' GewerkschfterInnen, bzw. dem „Programa de Mejoramiento de Comportamientos y Competencias“. An zwei isolierten Orten auf dem Raffineriegelände werden insgesamt 44 ArbeiterInnen von Ecopetrol in zwei Gruppen während längerer Zeit 'unterrichtet'. Es handelt sich durchwegs um ehemalige GewerkschaftsführerInnen oder um aktive GewerkschafterInnen, welche verknurrt sind, für unbestimmte Zeit einem speziellen Unterricht beizuwohnen. Dieser Unterricht soll laut verschiedenen Aussagen einer Gehirnwäsche gleichkommen. Ecopetrol versucht mit diesem Vorgehen, die ArbeiterInnen von ihrem gewerkschaftlichen Engagement abzubringen. Im Vergleich zu den zahlreichen Morden an GewerkschafterInnen überleben diese 'Kursteilnehmende', es handelt sich jedoch um psychischen Terror. Wir erfahren auch, dass viele Personen gesundheitliche Probleme haben. Zudem müssen die betroffenen GewerkschafterInnen massive Lohneinbussen in der Höhe von 45 % in Kauf nehmen.

Zurück in Bogotá
Nach der Rückkehr nach Bogotá erfahren wir Einzelheiten von der anderen Delegation, die nach Saravena im Departament Arauca gereist ist. In Arauca, an der venezolanischen Grenze, sind zahlreiche militärische Einheiten stationiert, Paramilitärs und Guerillas machen sich ebenfalls stark und teilweise sehr offen bemerkbar. Die Repression gegenüber den sozialen Bewegungen erreicht ein extremes Niveau. Bedrohungen, Verhaftungen, Deplatzierungen sowie bestialische Vergewaltigungen und Morde gehören zum Alltag. Dennoch verteidigen die Mitglieder der vielen sozialen Bewegungen ihre Anliegen und Rechte auf bewundernswerte Weise. Sie betonen aber gleichzeitig immer wieder nachdrücklich, dass die internationale Solidarität entscheidend sei.

Der zweiwöchige Aufenthalt in Kolumbien verlief rasend schnell. Er brachte sehr viele intensive Eindrücke und führte zu grosser Betroffenheit. Gleichzeitig ergaben sich Kontakte zu sehr vielen mutigen und kämpferischen Leuten, die sich nicht unterkriegen lassen, Angst haben, Feste feiern, zornig sind, um ermordete Angehörige trauern und nicht zuletzt der Welt mitteilen wollen, dass die heutigen kolumbianischen Zustände nicht andauern dürfen. Über die Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen soll nicht ein Mantel des Vergessens gelegt werden, vielmehr steht dringend eine grundlegende Änderung des politischen Klimas und der sozialen Verhältnisse an - und auch hierzu ist die Unterstützung aus Europa unabdingbar.



Hans Peter Schmutz, Bern (Mitglied Interessengruppe Bauplanung)



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