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Beispiel Sanofi-Aventis: Das Europa der Konzerne baut seine Macht mit aktiver »Industriepolitik« aus
11.05.2004 | 16:53 Uhr

Beispiel Sanofi-Aventis: Das Europa der Konzerne baut seine Macht mit aktiver »Industriepolitik« ausGrößenwahn
von W. Wolf (Foto links)
Die Fusion war breit gefeiert worden. Das »größte Pharmaunternehmen der Welt« und ein »multinationales Unternehmen mit gleichberechtigtem deutsch-französischen Management« sei entstanden. So lauteten im Dezember 1999 die Berichte über die Fusion zwischen dem deutschen Konzern Hoechst und dem französischen Unternehmen Rhone-Poulenc zu Aventis. Der Umsatz lag bei umgerechnet rund 21 Milliarden Euro, die Beschäftigtenzahl bei 95 000. Der neue Konzern wurde von dem Franzosen Jean-René Fourtou und dem Deutschen Jürgen Dormann geführt.

Nur vier Jahre später, Ende 2003, erfolgte die nächste Zäsur. Aventis lag inzwischen nur noch auf Platz sechs der weltgrößten Pharmaunternehmen. Die Beschäftigtenzahl war auf 75 000 gesunken, der Jahresumsatz auf 25 Milliarden Euro angestiegen. Das weniger als halb so große französische Unternehmen Sanofi-Synthélabo (7,4 Milliarden Euro Umsatz, 32 000 Beschäftigte) erklärte, Aventis per feindlicher Übernahme schlucken zu wollen. Ende April 2004 war es vollbracht und Aventis übernommen. Dessen Boß, Igor Landau, kassiert dafür mit 24 Millionen Euro kaum weniger als ein paar Jahre zuvor Klaus Esser beim Mannesmann-Ausverkauf. Die Gewerkschaften rechnen mit einem Abbau von 12 000 Jobs. Das neue Unternehmen ist weltweit der drittgrößte Pharmakonzern.

Der Vorgang ist beispielhaft für das, was irreführend als Globalisierung bezeichnet wird bzw. für das, was als Blockbildung für den globalen Konkurrenzkampf charakterisiert werden kann. Mit Sanofi-Aventis erleben wir, was wir bereits bei DaimlerChrysler oder Vodafone/Mannesmann präsentiert bekamen – einen gewaltigen Konzentrationsprozeß. In der Pharma-Branche gab es Anfang der neunziger Jahre noch rund 50 international operierende Unternehmen. Heute dominieren einige wenige Superkonzerne den Markt. An der Spitze steht unangefochten der US-Multi Pfizer, mit einem Umsatz von 40,3 Milliarden US-Dollar 2002. Nummer zwei ist das britische Unternehmen GlaxoSmithKline (27 Milliarden US-Dollar), der neue Dritte ist Sanofi-Aventis (23,5 Milliarden US-Dollar).

Der größte japanische Pharmakonzern (Takeda) oder auch deutsche Unternehmen wie Boehringer-Ingelheim, Bayer und Schering agieren dagegen mit Umsätzen zwischen 5,9 und 3,3 Milliarden US-Dollar in der zweiten Liga. Oder besser – sie werden Teil der nächsten Konzentrationswelle sein. Deutlich ist jedoch die Endlichkeit dieses Prozesses. Am Ende wird es – wie in der Flugzeugindustrie – nur noch zwei Konzerne geben oder – wie bei der Software für PC – nur noch ein marktbeherrschendes Unternehmen.

Am Beispiel Sanofi-Aventis wurde zweitens deutlich, daß sachliche Argumente bei der Fusionitis eine sekundäre Rolle spielen. Der Exchef von Aventis, Fourtou, äußerte im März: »Es ist nicht wegzudiskutieren, daß durch eine Fusion (von Aventis) mit Novartis ein besseres Unternehmen entstehen würde.« Das Übernahmegebot des schweizerischen Konzerns, aktuelle Nummer acht in der Welt, lag mit 55 Milliarden Euro deutlich über dem von Sanofi (51 Milliarden). Ein fusionierter Konzern Aventis-Novartis wäre auf Weltrang zwei gelandet. Vor allem wäre dieses Unternehmen – anders als das »europäisch ausgerichtete« Unternehmen Sanofi-Aventis – auf dem entscheidenden US-Markt optimal vertreten gewesen. Doch all das spielte keine Rolle. Rein sachlich gesehen könnte auch gefragt werden: Weswegen überhaupt eine Fusion? Die Gewinne in beiden Unternehmen waren hoch und die Markterwartungen günstig. Doch es ist der dem Kapital inhärente Zwang zu Größe und zu Vernichtung, der allein als Triebkraft wirkt.

Die entscheidende dritte Lehre lautet: Nicht allein der Markt und die Gier nach Größe sind entscheidend. Es entstehen auch keine »internationalen« Unternehmen. Bereits Aventis war kurz nach der Fusion 1999 ein primär französischer Konzern. Die deutsch-französische Doppelspitze wurde durch den neuen französischen Chef Igor Landau ersetzt. Die Wahl zwischen Novartis-Aventis und Sanofi-Aventis war eine zwischen einer eher international oder einer eher national ausgerichteten Fusion. Letzteres obsiegte. Der neue Konzernboß Jean-Francois Dehecq gibt als unzweideutige Linie vor: »Es herrscht Gleichberechtigung – allerdings bin ich der Chef.«

Gesteuert wurde der Fusionsprozeß aus Berlin und Paris. Kanzler Gerhard Schröder erklärte bereits Anfang Februar, daß eine Fusion Aventis-Sanofi »Vorteile« habe. Er sagte dies nach einem Treffen mit Präsident Jacques Chirac. Die französische Regierung erklärte, diese Fusion läge »im nationalen Interesse«. Der französische Wirtschafts- und Finanzminister Nicolas Sarkozy lud am 24. April Landau (Aventis) und Dehecq (Sanofi) zu einem Geheimtreffen, auf dem die Fusion wasserdicht gemacht wurde.

Das Europa der Konzerne und Banken wird nicht nur mit dem neuen militärisch-industriellen Komplex (EADS), mit Euro und »Osterweiterung«, sondern auch mit bewußter »Industriepolitik« zielstrebig vorangetrieben. Die »nationalen« Regierungen sind dabei solange stark, wie sie im Interesse der EU-Konzernmacht handeln. Auf den Großdeal Sanofi-Aventis, mit dem französische Kapitalinteressen bedient wurden, wird ein Deal mit umgekehrtem Vorzeichen folgen. Siemens wartet schon auf seinen Anteil bei der Zerlegung des angeschlagenen französischen Unternehmens Alstom.


Winfried Wolf, aus jw



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