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Übernahmeschlacht um Aventis: Coup von langer Hand geplant?
11.05.2004 | 16:50 Uhr

Übernahmeschlacht um Aventis: Coup von langer Hand geplant?jW sprach mit dem langjährigen Betriebsratsmitglied Hans-Werner Krauß

* Hans-Werner Krauß hat als Belegschaftsangehöriger den Übergang der Hoechst AG zur französischen-deutschen Aventis miterlebt. Er wurde 1975 aus der IG Chemie-Papier-Keramik ausgeschlossen, war über viele Jahre oppositionelles Betriebsratsmitglied und ist vor kurzem in den Ruhestand gegangen.

F: Kam die jüngste Übernahmeschlacht um Aventis für Sie überraschend?

Überhaupt nicht. Schon in den 1980er Jahren wurde entschieden, daß Chemiekonzerne wie die Hoechst AG zu Holding-Unternehmen werden sollen, die mit Chemiefirmen handeln. 1989 haben wir Oppositionellen vor den Absichten des Managements gewarnt, den Konzern Hoechst AG zu zerlegen und dann massiv Kosten und Personal einzusparen ...

F: ... und wenig später setzte die Zerschlagung von Hoechst ein.

Anfang der 1990er Jahre wurden unter dem Vorstandsvorsitzenden Wolfgang Hilger Umstrukturierungen in Angriff genommen mit dem Ziel, »unprofitable Bereiche« abzustoßen und das Personal stark abzubauen. Sein Nachfolger Jürgen Dormann wollte den Konzern bis 1999 zum »Global Player Nr. 1« machen. Seine Losung: Konzentration auf das Kerngeschäft statt »Gemischtwarenladen«. Unter Dormann wurden französische Beteiligungen und für elf Milliarden DM der US-Konzern Merryl Dow aufgekauft, der als Türöffner nach Nordamerika dienen sollte.

F: Doch damit war der Konzern noch nicht Weltmarktführer.

Deshalb fädelte Dormann mit dem Chef der französischen Rhône Poulenc, Jean-René Fortou, eine »Fusion unter Gleichen« ein, aus der 1999 Aventis entstand. Nachdem nun selbst Aventis sich nicht als der Weltmarktführer etablieren konnte, wurden weiter gnadenlos alle Unternehmensbereiche mit unterdurchschnittlichen Renditewerten abgestoßen. Aventis hat schon durch die Trennung von der »Crop Science« – das sind Saatgut und Pestizide –, durch Umstrukturierungen und die Ausgliederung der nicht mehr durch Patent geschützten Produkte potentiellen Übernehmern signalisiert: Kauft uns doch endlich! Ohne diese Schritte hätte Sanofi kein Angebot gemacht. Die »plötzliche« Zustimmung zur Fusion durch die europäische Kartellbehörde unter der Bedingung, daß Aventis Lizenzen für bestimmte Pharmapräparate abgibt, deutet darauf hin, daß hinter den Kulissen schon alles abgekaspert war.

F: Wie bewerten Sie den Abwehrkampf des Aventis-Betriebsrats und der Gewerkschaft IG BCE gegen die feindliche Übernahme?

IG BCE und Betriebsratsmehrheit haben sich wie in alten Zeiten von vornherein bereitwillig an die Seite der Manager gestellt, nationalistische Töne angeschlagen und gleichzeitig die französischen Gewerkschaften als »nationalistisch« kritisiert. Protestveranstaltungen fanden unter der Regie des Managements statt. Genaugenommen war Aventis jedoch längst kein deutsches Unternehmen mehr. Die Aktien befanden sich in weltweitem Streubesitz, allein 24,9 Prozent gehörten Kuwait. Uns war klar: Ganz egal, ob Aventis eigenständig bleibt, von Sanofi oder von dem Schweizer Novartis-Konzern übernommen wird – Einsparungen gehen immer auf unsere Knochen! Der Flirt mit Novartis hat den Kaufpreis in die Höhe getrieben. Durch die Kredite für den Erwerb kommt auf Sanofi jetzt eine jährliche Zinslast von über einer Milliarde Euro zu. Dieses Geld werden sie aus den Beschäftigten herauspressen. Es ist zu befürchten, daß die Ausgliederung von Unternehmensteilen weitergeht.

F: Welche Stimmung herrscht jetzt in der Belegschaft?

Viele fühlen sich betrogen, verschaukelt und ohnmächtig. Demos und Versammlungen dienten nur noch dazu, Dampf abzulassen. Schon als das erste Übernahmeangebot im Raum stand, untersagte der Aventis-Gesamtbetriebsratsvorsitzende den Betriebsratsmitgliedern öffentliche Äußerungen. 30 Jahre Sozialpartnerschaft waren für die betriebliche Gewerkschaftsarbeit tödlich. Wo alles »einvernehmlich« zwischen Managern und Betriebsräten abgekaspert wird, ist eine Gewerkschaft überflüssig. Die Hoechst AG hat eine feindliche Übernahme von innen heraus erlebt – durch die eigenen Manager. Das Verhältnis zwischen dem Durchschnittseinkommen eines Beschäftigten und einem Managersalär betrug früher eins zu 20 und liegt jetzt bei eins zu 100.


Interview: Hans-Gerd Öfinger, jungewelt vom 11.5.04



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