Siemens-Abschluß macht Schule
Die Gewerkschaften sind dabei, sich überflüssig zu machen. Welcher abhängig Beschäftigte braucht »Vertreter«, die nichts tun, als Lohnkürzung, Stellenabbau und Arbeitszeitverlängerung »mitzugestalten«? Letzteres hat die IG-Metall-Spitze mit dem bei Siemens geschlossenen »Ergänzungs-Tarifvertrag« exemplarisch unter Beweis gestellt und damit ein Tor aufgestoßen, das sich nicht mehr schließen lassen wird. Nach Einführung der 40-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich sowie der Streichung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld in den Siemens-Betrieben Kamp-Lintfort und Bocholt will der Technologiekonzern dem Vernehmen nach nun auch in Kirchheim-Teck, Bruchsal, Karlsruhe und Nürnberg entsprechende Regelungen durchsetzen. Konkurrent Philips will ebenfalls die 40-Stunden-Woche. Verständliches Argument: Der entstandene Wettbewerbsnachteil. Auch andere ziehen nach: Laut Welt verhandeln bereits mehr als 100 Unternehmen über Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich und Kürzungen beim Weihnachts- und Urlaubsgeld – neben vielen Mittelständlern auch Großkonzerne wie DaimlerChrysler, Bosch und MAN. Rund 40 weitere Firmen haben sich die im Metall-Tarifvertrag vom Februar angelegten Möglichkeiten zur Arbeitszeitverlängerung bereits zunutze gemacht. Wenn IG-Metall-Chef Jürgen Peters vor diesem Hintergrund behauptet, der Siemens-Vertrag sei »ein Einzelfall und keine Blaupause«, ist das nichts als hohles Gerede zur Beruhigung der Basis.
Der kampflose Rückzug des einstigen DGB-Flaggschiffs IG Metall verheißt für die anderen Gewerkschaften nichts Gutes. Beim Reisekonzern Thomas Cook, auf dem Bau, bei der Bahn, im öffentlichen Dienst und in vielen weiteren Branchen und Betrieben steht Arbeitszeitverlängerung auf dem Wunschzettel der Gegenseite. Und auch hier ist es mit dem gewerkschaftlichen Widerstand nicht weit her.
Das kommt nicht von ungefähr. Die Gewerkschaftsspitzen glauben immer noch, dem Kapital mit den Mitteln sozialpartnerschaftlicher »Mitgestaltung«, ein paar Brosamen abschwatzen zu können. Nur haben sich die Zeiten geändert: Ohne konsequenten Kampf gibt es nicht nur nichts mehr – es wird permanent und radikal schlechter. Die von ihnen beklagte »Erpreßbarkeit« schaffen sich diese Gewerkschaftsfunktionäre durch die Akzeptanz der Standort-»Logik«* selbst. Die folgende Zustimmung zu jeder Sauerei führt zu Mitgliederschwund und Vertrauensverlust: Laut einer vom DGB in Auftrag gegebenen Studie halten nur noch 41 Prozent der Gewerkschafter ihre Organisation für »unverzichtbar«. Und sie haben Recht: Solche Gewerkschaften sind überflüssig – Kampforganisationen der abhängig Beschäftigten sind es nicht.
* siehe auch Artikel CK-homepage "Aktuelles/Startseite rechte Spalte: Gegen die Konkurrenz- und Standortlogik und gegen ihre Akzeptanz durch die Gewerkschaften!" Daniel Behruzi aus jungeWelt
Link: Gegen die Konkurrenz- und Standortlogik und gegen ihre Akzeptanz durch die Gewerkschaften!
|