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Für die Kultur der Mitverantwortung
11.09.2005 | 19:02 Uhr

Die Linkspartei.PDS gewinnt besonders in den Gewerkschaften an Unterstützung – auf Kosten der SPD. Das allerdings je nach Einzelgewerkschaft sehr unterschiedlich: Während sich Teile von IG Metall und ver.di langsam für die Linkskandidatur erwärmen, halten die – im bürgerlichen Mainstream als »modern« gepriesene – Industriegewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie (IG BCE) und ihr Vorsitzender Hubertus Schmoldt der Regierungs-SPD auf Gedeih und Verderb die Treue. Da paßt es, daß – pünktlich zur Bundestagswahl – in Hannover, dem Sitz der IG BCE, ein Buch mit dem schönen Titel "Nur wer mitgestaltet, überlebt – Gewerkschaft als Reformmotor" von Gabriele Stief, Redakteurin der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung erschienen ist.
Die Autorin versucht darin, Gewerkschaftern eine kooperative Politik im Bündniss mit der SPD nahezulegen. Das Vorbild: Die IG BCE. Die jüngste Geschichte der Gewerkschaften sei »eine Geschichte der Verweigerung und des Abschieds aus politischer Mitverantwortung«. Nicht so die Chemiegewerkschaft. Diese sei »nicht nur kompromißbereiter, sondern auch bündnis- und zukunftsfähiger«, behauptet Stief.
Die politische Ausrichtung dieser Gewerkschaft wird schon an wenigen Zitaten ihres Vorsitzenden deutlich. Das Scheitern des »Bündnisses für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit« nennt Schmoldt einen »Triumph der destruktiven und konfliktorientierten Kräfte – inklusive Gewerkschaften. Wer Politik gestalten will, muß sich in den Dialog begeben«. Und: »Wir können nicht mehr mit dem angeblichen Grundwiderspruch von Kapital und Arbeit alle neuen Fragen beantworten.« Diese Haltung schlägt sich sowohl in der viel beschworenen »kreativen Tarifpolitik« nieder, als auch in der Unterstützung der IG BCE für den Sozialkahlschlag der SPD-geführten Bundesregierung in Form von »Riester-Rente«, »Hartz IV« und »Agenda 2010«. Die Autorin erklärt allerdings nicht, warum die IG BCE – trotz dieser »modernen« Haltung – nicht weniger als andere Gewerkschaften von drastischen Mitgliederverlusten gebeutelt wird. Von ehemals mehr als einer Million Mitgliedern sind noch 772 000 verblieben. Nur 60 Prozent der Mitgliedschaft ist im Betrieb tätig. 40 Prozent sind Arbeitslos oder Rentner.
Wenn man, wie der von Stief zitierte Ökonom Michael C. Burda die Gewerkschaften als »Kampftruppe der Beschäftigten gegen die Unbeschäftigten« beschimpft, erklärt das nicht, warum auch in der chemischen Industrie weniger als 20 Prozent der Beschäftigten in der IG BCE organisiert sind.
Doch die Chemiegewerkschaft war nicht immer so handzahm wie heute. Im Gegenteil: Ihr Vorläufer, die IG Chemie, gehörte zum linken und klassenkämpferischen Teil der Gewerkschaftsbewegung. Das Buch beschreibt, wie die IG Chemie in den 60er und 70er Jahren vom Unternehmerverband niedergezwungen wurde und sich der auf Sozialpartnerschaft eingestellte Flügel im Apparat durchsetzte. Ein Versuch der Basis, die Gewerkschaft wieder in ihrer Hand zu bekommen, endet 1980 auf dem Gewerkschaftstag in Mannheim, als der Linke Paul Plumeyer aus dem Hauptvorstand abgewählt wurde. Stief erwähnt allerdings nicht, daß hierfür Tricks und Betrügereien notwendig waren. In bezirklichen Vorbesprechungen wurden alle Delegierten mit Lügen dazu gedrängt, Plumeyer und seine Anhänger nicht zu unterstützen.
Auch werden die Betrügereien bei den Vertrauensleutewahlen, die nach dem Gewerkschaftstag betrieben wurden, in dem Buch nicht dargestellt. Diese führten zu gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen betrieblichen Funktionären bei Bayer Wuppertal und dem Hauptvorstand. Um eine juristische Niederlage zu verhindern, setzte der Vorstand auf die Schnelle VL-Neuwahlen an.
Ebenfalls keine Erwähnungen finden in Stiefs Buch die – in Form des Chemiekreises und der Basisinitiative Solidarität (BaSo) bestehenden – Oppositionsgruppen, die dem Anpassungskurs der IG-BCE-Spitze weiterhin Widerstand leisten.
"Nur wer mitgestaltet" bietet kein Konzept und soll eher auf einen falschen Kurs führen, bietet aber einen tiefen Einblick in die dunkelen Seiten der IG BCE und ihrer Führung.

Gabriebel Stief / Hartmut Contenius: Nur wer mitgestaltet, überlebt – Gewerkschaft als Motor. Berlin: Aufbau-Verlag 2005 (202 Seiten, 14,90 Euro)





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