Das Geschäft mit der Not. Wie viel darf ein Monat zusätzliches Leben kosten? Skrupellos viel bei der Roche.
Ist es politisch korrekt, mit der Angst vor der Vogelgrippe Kasse zu machen? So lautete die ethische Frage der letzten Input-Ausgabe. Das Geschäft mit der Angst mag verwerflich sein, aber sein Umsatz hielt sich mit 1,56 Mrd. im Jahr 2005 in Grenzen. Tamiflu steht in der internen Hitparade vorläufig erst an 6. Stelle. Wenden wir uns deshalb einem anderen Goldesel der Roche zu, um den Vorwurf zu erhärten. Avastin oder: dem Geschäft mit der Not. Gemäß Analysten soll das Medikament der Roche in den nächsten Jahren 10 Milliarden Franken Umsatz bringen. Wie Tamiflu lässt Avastin den Menschen hoffen. Avastin dient zur Behandlung von Dickdarmkrebs. Es gilt in der Medizin als Meilenstein, weil es die Lebensdauer eines Krebspatienten um fünf Monate verlängern kann. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Jährlich werden bis zu einer Million Dickdarmkrebs-Fälle diagnostiziert. Die meisten Krebspatienten können sich den Einsatz von Avastin nicht leisten. Eine Behandlung kostet monatlich 6500 Franken. Dort, wo Krankenkassen die Kosten übernehmen, ächzen Gesundheitssysteme unter dem horrenden Preis. Diesen hält die Roche künstlich hoch. Das Kalkül mit der Not lautet: Wie viel ist jemand bereit, sich einen Monat Lebensverlängerung kosten zu lassen? Avastin ist konkurrenzlos auf dem Markt. Die Roche schöpft soviel ab, wie dieser hergibt. Die Gewinnmaximierung spielt sich auf als Richterin über Leben und Tod. Das Resultat lässt sich sehen, vor allem für die Aktionäre. 6,7 Milliarden Franken beträgt der aktuelle Jahresgewinn. Tendenz steigend. Roche rechtfertigt ihre skrupellose Preispolitik mit dem hohen Forschungsrisiko. Nicht jedes Medikament, in welches sie die Forschungsgelder investiert, ist ein Treffer. Deshalb müssen die erfolgreichen Medikamente die Rohrkrepierer quer subventionieren. Diese Argumentation mag sachlich richtig sein, entbindet aber nicht jeder Verantwortung. Die «NZZ am Sonntag» schreibt. «Patienten in lebensbedrohlichen Lagen haben eine extrem hohe Zahlungsbereitschaft, und dies nutzen die Konzerne auch aus. Mit ihrem Vorgehen arbeiten sie all jenen Kritikern in die Hände, die mehr staatliche Einmischung und mehr Kostenwahrheit fordern.» Wenn sogar die Fürsprecherin des freien Marktes den Mahnfinger hebt, lässt sich unschwer feststellen: Die Gewinnstreberin Roche hat ein Imageproblem.
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aus input, Zeitung der Gewerkschaft unia vom März 06
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