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Transparency prangert Pharmabranche an - Gesundheitswesen korrupt
16.05.2006 | 16:57 Uhr

Im deutschen Gesundheitswesen gehen durch Korruption nach Schätzungen von Transparency International (TI) jährlich bis zu 24 Mrd. Euro verloren. Von Pharmafirmen würden Studien gefälscht, Behörden beeinflusst und Risiken verschwiegen werden meldet die ftd.

"Das heikelste Kapitel bei der Korruption im deutschen Gesundheitswesen ist die Art der Einflussnahme der pharmazeutischen Industrie auf die Zulassung, die medizinisch-therapeutische Beurteilung und Vermarktung ihrer Produkte", heißt es in dem Bericht, der am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Die Unternehmen würden Ärzte für die Verschreibung ihrer Produkte bezahlen, Selbsthilfegruppen unterwandern und fragwürdige Studien als Marketingstrategien einsetzen. Anke Martiny, Vorstandsmitglied von Transparency International, schätzt die Verluste durch Korruption auf acht bis 24 Mrd. Euro.

"Die haben ihre Produkte der Vermarktung angepasst, nicht umgekehrt", sagte Peter Schönhöfer, einer der Autoren des Berichts. Nur sieben von 450 seit 1990 eingeführten Substanzen seien echte Innovationen, 25 weitere böten Fortschritte. Alle anderen Medikamente bringen dem Patienten demnach keine besseren Heilungserfolge, werden aber viel teurer verkauft als herkömmliche Präparate.

"Die Produkte können nur durch die Nutzung korruptiver Strategien vermarktet werden", sagte Schönhöfer. Dazu zählten die Einladung von Ärzten zu Fortbildungen, die eigentlich der Werbung dienten. Auch nehme die Manipulation oder gar die Fälschung von klinischen Studien rasant zu. Schließlich bringe die Branche Apotheker durch verbotene Zahlungen oder geschenkte Softwareprodukte zum Verkauf bestimmter Produkte.

Deutsches Gesunheitssystem teuer, gleichzeitig mittelmäßig

Schuld an den Strukturproblemen im deutschen Gesundheitssystem sei ein Überangebot an Waren und Dienstleistungen sowie die föderale Struktur der Bundesrepublik, sagte Gabriele Bojunga, ebenfalls eine der Autorinnen des Jahrbuchs. "Die Kostensteigerungen für Behandlungen sind durch strukturelle Mängel, darunter auch Korruption, hausgemacht." Deutschland sei nach den USA und der Schweiz das drittteuerste Land, was die Kosten seines Gesundheitswesens angehe. Die Leistungen für die Versicherten und der Gesundheitszustand der Menschen in Deutschland lägen im internationalen Vergleich aber nur im Mittelfeld.

Zur Bekämpfung der Korruption forderte Transparency wirksamere Maßnahmen und Strafverfolgung. So sollten die Krankenkassen, Kassenärztlichen Vereinigungen und Kammern professioneller arbeiten. Die Funktionsträger in der Selbstverwaltung, den wissenschaftlichen Einrichtungen und Berufsorganisationen sollten in Korruptionsfällen wie Amtsträger behandelt und dementsprechend hart bestraft werden. Finanzielle Verbindungen zwischen Sachverständigen und Sponsoren müssten offen gelegt werden. Auch verlangte TI die Einführung fälschungssicherer Arzneimittelverpackungen, um den illegalen Handeln mit Medikamenten einzudämmen.

Transparency International ist eine weltweit agierende Nicht-Regierungs-Organisation und stellt einmal im Jahr das so genannte Jahrbuch Korruption vor. Der Schwerpunkt des diesjährigen Berichts liegt auf Korruption im Gesundheitswesen. Im Jahrbuch 2006 werden für Deutschland die folgenden Korruptionsfelder aufgezeigt:

1. Auftragsvergabe

In Deutschland werden pro Jahr über 500 Millionen medizinische Aufträge vergeben. Dabei handelt es sich zum großen Teil um Untersuchungen von Körpermaterial (Blut, Urin, Gewebeproben etc.). Laut Transparency International werden hier auf allen Gebieten so genannte Rückvergütungen gezahlt - teils in Bargeld, teils in Form von geschenktem oder gesponsertem Material oder in Dienstleistungen.

Dabei fallen inzwischen vor allem neue Gesetze und Verordnungen auf, die für die Praxen oft aufwändige Schulungen ohne eine Einnahmesteigerung bedeuten. Einige Laborinstitute bieten inzwischen ihren Kunden solche Schulungen deshalb kostenlos an. Transparency hält zwar die Mehrzahl der Ärzte nicht für bestechlich, befürchtet aber eine zunehmende Offenheit gegenüber solchen Angeboten auf Grund der wirtschaftlich schwierigen Lage vieler Praxen.

2. Betrug bei Krankenkassen

Die Palette von Manipulationen ist im Bereich der Krankenkassen weit gefächert und dreht sich vor allem um Leistungen, die entweder gar nicht erbracht, nicht in der angegebenen Form erbracht oder fingiert worden sind. Solche Manipulationen können relativ einfach von einem einzelnen Vertragspartner vorgenommen werden, laut Transparency International bilden sich inzwischen aber sogar Netzwerke aus verschiedenen Vertragspartnern.

Dabei werden beispielsweise Ärzte oder Apotheken von Herstellern oder Lieferanten beeinflusst, bestimmte Leistungen zu attestieren, die gar nicht erbracht worden sind. Oder der Arzt erhält pro Verordnung - beispielsweise Überweisungen an Fachkollegen oder Verordnung von Orthopädietechnik - einen bestimmten Bonus.

Gleichzeitig werden Krankenkassen auch betrogen, indem zum Beispiel Patienten bei den Krankenkassen durch einen fingierten Arbeitgeber angemeldet werden, die Beiträge aber nicht gezahlt werden, mit gefälschten Rezepten Medikamente erschlichen werden, fiktive Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigungen für gesunde Mitarbeiter eingereicht werden oder Hausbesuche und Maßanfertigungen abgerechnet werden, die nie stattgefunden bzw. angefertigt wurden.

3. Einflussnahme auf Fachkreise und Behörden

Der Finanzbedarf in der Pharmaindustrie lässt sich zunehmend weniger durch neue und innovative Produkte decken. Laut Transparency International sind nur 7 der etwa 450 neuen Substanzen, die seit 1990 auf den Markt gekommen sind, echte Innovationen, etwa 25 weitere können als Schrittinnovationen gewertet werden. Deshalb vermarkten die Pharmaunternehmen ihre Produkte umso aggressiver, rund 40 Prozent der Einnahmen wird dafür ausgegeben.

Manipulation und Fälschung klinischer Studien:

In einer Befragung von 3000 Forschern gaben rund 15 Prozent zu, auf Druck von Sponsoren Design, Methoden oder Ergebnisse von Studien verändert zu haben. Zwölf Prozent gaben die Verwendung unsauberer oder fragwürdiger Daten an.

Gefährdung von Patienten durch Marketingstudien:

Im Jahr 2003 wurde die von dem Pharmakonzern Roche finanzierte COMET-Studie veröffentlicht, die die Überlegenheit eines Betablockers von Roche gegenüber dem eines Konkurrenzanbieters belegen sollte. Den Patienten der Kontrollgruppe wurde allerdings eine zu zu geringe Dosis des Konkurrenzmittels verabreicht, 88 Patienten starben.

Ärztliche Fortbildungen:

Bundesweite und internationale Kongresse werden nicht nur von Pharmaunternehmen offen gesponsert, sondern sie dienen auch dazu, falsche Marketingdaten zu verbreiten. Laut Transparency International stimmen Daten von Kongressvorträgen in 66 bis 75 Prozent nicht mit später veröffentlichten Daten überein.

Preiswettbewerb:

Durch Zahlungen an Ärzte für bestimmte Verschreibungen, Naturalrabatte oder firmeneigene, großzügig subventionierte Praxis-Software, die Informationen über preiswertere Produkte "ausblendet", verhindern große Generika-Hersteller wie Ratiopharm, dass andere, preiswertere Produkte verschrieben werden.

Auch Behörden und Fachkreise sind vor dem Einfluss der Pharmaindustrie nicht geschützt. Legendär ist hier die Bitte des heutigen Verbraucherschutzministers und ehemaligen Gesundheitspolitikers Horst Seehofer (CSU) an seine Kollegen im Vermittlungsausschuss zur Gesundheitsform. Man möge, soll Seehofer gesagt haben, doch bitte wenigstens die Deckblätter mit den Logos der jeweiligen Pharmafirmen von den Argumentationshilfen entfernen, bevor man sich im Ausschuss zusammensetze.

Transparency International kritisierte gleichzeitig, dass Zulassungsstellen und Aufsichtsbehörden zunehmend in reine und zum Teil von Herstellern finanzierte Dienstleistungsagenturen umgewandelt werden sollen. Durch das Verschweigen bestimmter Risiken würde damit die Sicherheit von Patienten gefährden.

4. Illegaler Handel mit Arzneimitteln und grauer Markt

Es gibt verschiedene Varianten des Grauen Marktes im Bereich der Arzneimittel. Eine der gängigsten Vorgehensweisen ist, dass Arzneimittel von Pharmafirmen, aber auch von der WHO in Krisengebiete gespendet werden. Sie werden dort neu verpackt und landen statt in den Krankenhäusern zum Verkauf in den Apotheken. Die Arzneimittel gelten als gefälscht, weil die Verpackungen ausgetauscht und die Chargen manipuliert werden. Mit diesen Arzneimitteln werden inzwischen sogar schon Warentermingeschäfte betrieben.

Internethandel und Reimporte erschweren gleichzeitig die Kontrolle solcher gefälschter Arzneimittel. Es gibt keine lückenlose Vertriebskette, außerdem sind Arzneimittelgroßhändler nicht verpflichtet, ihre Ware nur direkt beim Pharmaunternehmen zu kaufen. Damit sind der illegale Zwischenhandel und Fälschungen kaum zu kontrollierern.

Besonders problematisch ist laut Transparency International der Handel mit illegalen Substanzen wie Dopingmitteln. Zwar arbeiten die Kriminalämter verschiedener Industrieländer zusammen, um diesen Handel einzudämmen, aber das Handeln von Apothekern und Ärzten ist schwer zu kontrollieren.

5. Einfluss von Interessengruppen auf Selbsthilfegruppen und Patientenorganisationen

Zu den Förderern verschiedener Patientenorganisationen gehören oft die großen pharmazeutischen Unternehmen. Zum Beispiel wird der Deutsche Diabetiker Bund von den Insulin-Herstellern Aventis, Novo Nordisk und Lilly unterstützt.

Kritisch wird diese Unterstützung dann, wenn der Einfluss dieser Unternehmen zu groß wird: Der Deutsche Diabetiker Bund macht sich über seine Mitgliederzeitschrift momentan für die weitere Erstattung eines teureren Diabetis-Medikaments stark - obwohl das Institut für die Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) in einem Gutachten keinen Vorteil gegenüber der herkömmlichen Behandlungsmethoden erkennen konnte. Die Redaktion bezieht sich in ihrer Berichterstattung laut Transparency International offensichtlich auf Produktinformationen der Hersteller.





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