Chemische Industrie - Mehr Geld - Tarifabschluss von 4,3 Prozent erzielt meldet die IG BCE auf ihrer homepage: Die Entgelte in der chemischen Industrie steigen um 3,6 Prozent. Zudem erhalten die 550.000 Beschäftigten eine Einmalzahlung von 0,7 Prozent und eine Pauschalzahlung von 70 Euro (Auszubildende 20 Euro). Weiter haben sich IG BCE und Chemie-Arbeitgeber darauf verständigt, die Ausbildungsoffensive fortzusetzen. Dieses Tarifpaket wurde am Donnerstag (8.3.) in der zweiten bundesweiten Verhandlungsrunde in Lahnstein geschnürt. IG-BCE-Verhandlungsführer Werner Bischoff: „Prozentzahl und Einmalzahlung ergeben ein Einkommensplus von 4,3 Prozent. Das ist in Ordnung, das ist ein anständiger Kompromiss. Die Arbeitgeber haben sich deutlich bewegt, dies ist sicherlich auch auf die massiven Proteste in den Betrieben zurückzuführen." (Orginaltext homepage IG BCE)
Anders wird der Tarifabschluss bei denen gerechnet, die bei Pisa nicht untendurch gefallen sind. Aber es sind wohl bewusste Fehlrechnungen, die da von der Gewerkschaftsspitze unters Volk gebracht werden.
Magerer Abschluß Das Tarifergebnis für die Chemieindustrie löst Freude aus – bei den Unternehmern. Faktisch nur 3,1 Prozent mehr Geld für Beschäftigte. Einmalzahlung kann gestrichen werden Von Daniel Behruzi aus jungeWelt Bereits nach der zweiten bundesweiten Verhandlungsrunde konnten Unternehmerverband und Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) in der vergangenen Woche einen Tarifabschluß für die rund 550000 Beschäftigten der Chemiebranche präsentieren. Auch wenn die IG-BCE-Spitze um »Gewerkschaftsmodernisierer« Hubertus Schmoldt das Ergebnis auf 4,3 Prozent hochrechnet und als »anständigen Kompromiß« verkauft, ist es vor dem Hintergrund zunehmender Produktivität und guter Gewinne äußerst mager. Zudem soll es ganz offensichtlich dazu dienen, die Ambitionen der IG Metall in der begonnenen Lohnrunde zu bremsen.
»Der Tarifabschluß 2007 kann sich wirklich sehen lassen«, so der IG-BCE-Verhandlungsführer Werner Bischoff in einem Flugblatt. »Aus Sicht der Unternehmer«, muß man hinzufügen. Denn von den behaupteten 4,3 Prozent gehen gerade einmal 3,6 Prozent in die Lohn- und Gehaltstabellen ein, sind also auf Dauer wirksam. Da die Laufzeit des Vertrags aber 14 Monate beträgt, sind dies auf ein Jahr gerechnet lediglich knapp 3,1 Prozent. Neben einem Pauschalbetrag von 70 Euro für einen Monat zur Überbrückung zwischen altem und neuem Tarifvertrag sollen einmalig 0,7 Prozent gezahlt werden. Per »freiwilliger« Betriebsvereinbarung können Unternehmen und Betriebsräte– also ohne Mitsprache der Gewerkschaft – diese »aus wirtschaftlichen Gründen« allerdings kürzen oder streichen.
Die Kapitalseite hat sich sowohl mit der Forderung durchgesetzt, einen substantiellen Anteil der Lohnerhöhung als Einmalzahlung zu vereinbaren, als auch damit, einen weiteren Schritt in Richtung »betrieblicher Differenzierung«, also der Verlagerung von Verhandlungen auf die Betriebsebene, zu gehen. Beides streben die Unternehmer der Metall- und Elektroindustrie ebenfalls an. Kein Wunder also, daß der Europa-Chefvolkswirt der Bank of America, Holger Schmieding, den Chemie-Abschluß in der Frankfurter Rundschau vom Montag als »Sieg der Vernunft« pries und den Metallern ein ähnliches Ergebnis empfahl. Sollte die IG Metall trotz solch »wohlmeinender« Ratschläge mehr durchsetzen, könne es zu einem »kräftigen Arbeitsplatzabbau« kommen, warnte Schmieding in bekannter Manier. Während Schmoldt in der Hannoverschen Neuen Presse erklärte, der IG-BCE-Abschluß habe Auswirkungen auf andere Branchen, betonte Nordrhein-Westfalens IG-Metall-Chef Detlef Wetzel, die Rahmendaten in der Metall- und Elektroindustrie seien deutlich besser als in der Chemiebranche.
Interessant ist die Argumentation von IG-BCE-Funktionär Bischoff, der erklärte, die »flexibilisierte« Einmalzahlung werde »der differenzierten wirtschaftlichen Situation in der chemischen Industrie gerecht« – als sei es Aufgabe der Tarifpolitik, seit jeher existierende Unterschiede zwischen der Wettbewerbsfähigkeit verschiedener Unternehmen auszugleichen. Ebenfalls problematisch ist die Ergänzung des Manteltarifvertrags in puncto »Langzeitkonten«. Diese sieht vor, daß zum Aufbau von Zeitguthaben nicht mehr nur Überstunden und Zuschläge, sondern auch bis zu zehn Prozent des Tarifentgelts verwendet werden können. Hintergrund ist offenbar der vor wenigen Tagen verabschiedete Beschluß des Bundestags, das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre anzuheben. Mit der von der IG BCE getroffenen Regelung, die per Betriebsvereinbarung konkretisiert werden muß, besteht für die Beschäftigten nun die Möglichkeit, mit einem Teil ihres Lohns für einen früheren Renteneintritt »anzusparen«.
»Die IG BCE hätte lieber zusammen mit der IG Metall gegen die Rente mit 67 mobilisieren sollen«, meinte Ulrich Franz von der Basisinitiative BASO/Chemiekreis dazu am Montag gegenüber jW. Insgesamt betreibe die Gewerkschaftsspitze »Augenwischerei«, da das reale, aufs Jahr gerechnete Ergebnis weit unter den behaupteten 4,3 Prozent liege. Franz wies zudem darauf hin, daß die Mobilisierungen der IG BCE im Rahmen der Tarifrunde – bis auf eine Ausnahme in Ludwigshafen, wo etwa 8000 Beschäftigte demonstriert hatten – allesamt fehlgeschlagen seien. »Es funktioniert eben nicht, alle zehn Jahre mal einen Aufruf zu verfassen und zu glauben, die Leute würden dann massenhaft kommen«, kritisierte er.
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