Vom Weißen Ritter zum Raubritter Ein gutes Jahr ist es her, dass Bayer den Berliner Pharmakonzern Schering aufkaufte und sich vor der Öffentlichkeit und vor allem den Schering-Beschäftigten als „Retter“ vor der bis dahin aktuellen „feindlichen Übernahme“ durch Merck präsentierte. Die Schering-Aktien machten einen Höhenflug, die Aktionäre rieben sich die Hände. Verlierer sind wie immer die Belegschaften. Die zuständige Gewerkschaft IGBCE und ihre Betriebsräte begrüßten natürlich in einer gemeinsamen Erklärung im Bayer-Aufsichtsrat die Transaktion. Der Vorstandsvorsitzende von Bayer, Werner Wenning, ließ von Anfang an keinen Zweifel daran, dass diese Fusion Arbeitsplätze kosten würde, weltweit ca. 6000. Dies solle nach seinen Worten aber ausgewogen und fair ablaufen. Der Deal soll ab 2009 Synergieeffekte von 700 Mio. Euro jährlich erbringen. Davon wird die eine Hälfte Personalkosten ausmachen, die andere Hälfte soll durch die Harmonisierung und Optimierung von Prozessen zustande kommen.
Das Konstrukt Bayer Schering Pharma
In den vergangenen Monaten wurde von Bayer die „Integration“ der Schering AG konsequent vorangetrieben, und im September 2006 wurde auf einer Aktionärsversammlung in Berlin die größte Transaktion in der Geschichte der Bayer AG besiegelt. Die Schering AG wurde in Bayer Schering Pharma AG (BSP) umbenannt. Die Pharmasparte bei Bayer, die der eigentliche Fusionspartner ist, wurde ebenfalls in Bayer Schering Pharma umgetauft und ihr Sitz von Wuppertal nach Berlin verlegt. Beide (juristisch noch getrennte) BSPs sind im Teilkonzern Bayer HealthCare aufgehängt und werden bis zur rechtlich endgültigen Verschmelzung durch übergreifende virtuelle Managementstrukturen geführt.
Von der Wupper an die Spree an den Rhein...
Viele Tausend Kolleginnen und Kollegen in Berlin, Wuppertal, Leverkusen, den USA und an vielen anderen Standorten sind betroffen. Bereiche werden von Berlin nach Wuppertal und Leverkusen, von Leverkusen und Wuppertal nach Berlin verlagert. Die ArbeitnehmerInnen, die nicht mit ihrem Bereich umziehen können oder wollen, müssen sich einen neuen Arbeitsplatz im Unternehmen suchen.
... und über die Wupper
In der Zwischenzeit wurden schon zwei Forschungszentren in den USA geschlossen (West Haven und Richmond), das macht ca. 1000 Arbeitsplätze.
In Deutschland sollen 1500 Arbeitsplätze dran glauben. Der Vertrieb, die Schering Deutschland GmbH wurde in einer Nacht und Nebelaktion ohne Wissen der anderen beteiligten Betriebsräte im Rahmen eines Betriebsübergangs in die Bayer Vital Vertriebsgesellschaft überführt. Das sind ca. 250 Arbeitsplätze. Die Hauptlast des Abbaus soll Schering Berlin tragen, dort „müssen“ ca. 1000 Arbeitsplätze vernichtet werden. Dazu kommt, dass die Schering Belegschaft nun auch die bei Bayer 2002 vollzogene Unternehmensaufspaltung (Abspaltung von Dienstleistungsgesellschaften) und Ausgliederung der Personalabteilung nachvollziehen muss. Kein Wunder, dass die Beschäftigten in Berlin, dies nicht als fair und ausgewogen empfinden. Dementsprechend gab es an mehreren Tagen im März Proteste der Belegschaft, die zum Ziel hatten, von Bayer einen Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen zu erreichen. Der Berliner Betriebsrat erreichte dadurch zumindest, dass die Bayer-Führung ein Eckpunkte-Papier mit sozialverträglichen Abbauregularien unterzeichnete, ohne dass die Belegschaft, wie bei einer entsprechenden „Bayer-Standortsicherung“, Millionen Euros und Sozialleistungen an Zugeständnissen einbrachte. Das Eckpunktepapier hat allerdings auch nicht den Ausschluss von betriebsbedingten Kündigungen erreicht.
Kampf der Kulturen
Im Rahmen der Integration wird natürlich viel über die unterschiedlichen Unternehmenskulturen gesprochen. Die Unterschiede scheinen auch auf die Betriebsräte zuzutreffen. Während die Berliner durch Mobilisierung - unterstützt durch die örtliche IGBCE, den Einsatz von Sachverständigen und Berater offensiv versuchen, die Möglichkeiten des Betriebsverfassungsgesetzes auszuschöpfen, bleibt es bei den Bayer-IGBCE-Arbeitnehmervertretern bei der üblichen Kooperation und Geheimhaltungspolitik. Bleibt zu hoffen, dass die Berliner der Leverkusener Kultur auf Dauer widerstehen können.
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