IG-BCE-Chef Hubertus Schmoldt kritisiert im Interview mit WELT ONLINE das Vorgehen der Lokführer-Gewerkschaft GDL. er sagt, was er von Kombi-Löhnen und der Rente ab 67 hält. Schmoldt meint, der Staat sollte seine Bürger nicht alimentieren. Kritik an Lokführern: IG-BCE-Chef Hubertus Schmoldt warnt vor Alleingängen von Sparten-Gewerschaften wie der GDL WELT ONLINE: Herr Schmoldt, nach den Piloten, Fluglotsen und Ärzten kämpfen nun auch die Lokführer für einen eigenen Tarifvertrag. Ist die Einheitsgewerkschaft am Ende, gehört die Zukunft den Spartengewerkschaften? Weiterführende links
Hubertus Schmoldt: Nein, das darf nicht die Zukunft werden. Die Deutschen sind mit ihrem Tarifvertragssystem und dem Prinzip der Einheitsgewerkschaft gut gefahren. Das darf nicht durch berufsständische Spartengewerkschaften kaputt gemacht werden. Sie zerstören den Solidaritätsgedanken und damit auch den Flächentarifvertrag. Man kann nicht nur seine Interessen gegen den Rest der Welt durchsetzen, sondern muss zum Ausgleich bereit sein. Unseren Lebensstandard haben wir auch der Tatsache zu verdanken, dass es in einem Unternehmen bisher immer nur einen Tarifvertrag gab. Künftig könnten es sonst drei oder vier sein. Schlagworte IG BCE Hubertus Schmoldt Kombilohn Berufsgewerkscahften Rente mit 67 Mindestlohn WELT ONLINE: Was ist daran so schlimm? Schmoldt: Das wird einen Auflösungsprozess in Gang setzen. Alle die glauben, sie hätten eine strategische Bedeutung im Unternehmen, könnten dies in Geld umsetzen wollen. Die Arbeitgeber sollten daher nicht glauben, dass dies zu geringeren Lohnkosten führt. Im Gegenteil: Sie werden steigen. Je stärker Gewerkschaften sind, desto eher können sie Gemeinwohlinteressen gegen Klientelinteressen abwägen. Schwache Gewerkschaften können das nicht. Die müssen ausschließlich ihre Klientel bedienen, weil sie sonst noch schwächer werden. WELT ONLINE: Wie kann der Auflösungsprozess gestoppt werden? Schmoldt: Es ist Aufgabe der Gewerkschaften, im Rahmen ihrer Tarifverträge darauf zu achten, dass alle Berufsgruppen angemessen berücksichtigt werden. Jeder will für seinen Beitrag zum Erfolg des Unternehmens angemessen bezahlt werden. Ein guter Tarifvertrag berücksichtigt das, indem er verschiedene Tätigkeiten verschieden bewertet. Dieses Wertesystem sollte sich verändern, wenn sich das Arbeitsleben verändert. Wir waren etwa die erste Gewerkschaft, die Arbeiter und Angestellte gleich bezahlt hat. Wenn man den Tarifvertrag nicht weiter entwickelt, kommt es zu Spannungen. WELT ONLINE: Was halten Sie von einem flächendeckenden Mindestlohn? Schmoldt: Keiner bestreitet, dass es in unserem Land Bereiche gibt, in denen Menschen unwürdig behandelt und nicht angemessen bezahlt werden. Natürlich wäre es das Beste, starke Gewerkschaften würden dort für bessere Bedingungen sorgen. In der Chemie funktioniert das, in anderen Branchen nicht. Dort muss der Staat eingreifen. Wir sind gegen einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn, aber für einen Mindestlohn für die jeweilige Branche. Wachleute in Mecklenburg-Vorpommern werden anders bezahlt als Handwerker in Baden-Württemberg. WELT ONLINE: Wie kann das konkret aussehen? Schmoldt: Dafür gibt es drei Instrumente: die Allgemeinverbindlichkeitserklärung, das Entsendegesetz und das Mindestarbeitsbedingungsgesetz von 1952. Dieses Gesetz böte die Möglichkeit, dass der Staat entsprechend Kommissionen einsetzt, die branchenbezogene Lösungen finden. Dafür braucht es aber ein paar Gesetzesänderungen. Nun wird sich zeigen, ob die Union dabei mitmacht oder ob das alles nur Gerede war. WELT ONLINE: Gehören Mindestlohn und Hartz IV zusammen, wie Arbeitsminister Müntefering sagt? Schmoldt: Um Missbrauch der Arbeitgeber zu verhindern, muss man Mindestlöhne einführen. Sonst können die Arbeitgeber ja ihre Löhne beliebig senken. Und der Staat darf zubuttern. Müntefering hat daher recht, wenn er sagt: Bei Hartz-IV-Steigerungen muss man verhindern, dass die Arbeitgeber über die Kombination von geringer Bezahlung und Hartz IV den Staat noch mehr ausnutzen. WELT ONLINE: Was halten Sie vom Investivlohn? Schmoldt: Der Investivlohn ist ein gutes Element, die Arbeitnehmer neben der tariflichen Bezahlung am Unternehmenserfolg zu beteiligen. Kapitalgesellschaften haben es da einfach, 80 Prozent unserer Unternehmen sind aber keine Kapitalgesellschaften. Aber auch dort kann man Lösungen finden, etwa mit Hilfe eines Fonds, wie ihn die Sozialdemokraten vorgeschlagen haben. Das minimiert das Risiko. Ich halte eine branchenbezogene Fondslösung für den geeigneten Weg. WELT ONLINE: Die Bundesregierung will sich Ende der Woche in Meseberg auf die zweite Hälfte der Legislatur vorbereiten. Welche Erwartungen haben Sie an die große Koalition? Schmoldt: Das Schlimmste wäre, wenn die große Koalition im nächsten Jahr angesichts der zahlreichen Wahlen in Lähmung verfallen würde. Gerade in der Vergangenheit haben wir erlebt, wie sich die großen Parteien aus wahltaktischen Gründen gegenseitig blockiert haben. WELT ONLINE: Die große Koalition wirkt reformmüde, vor allem die SPD scheut aus Angst vor der Linkspartei unpopuläre Maßnahmen. Schmoldt: Die SPD hat keine Veranlassung, nervös zu werden. Sie hat genug Selbstbewusstsein, ihre Überzeugungen in Politik umzusetzen. Sicher, Politikgestaltung ist immer schwieriger, als sich in der Opposition schöne Dinge vorzustellen. Gerade deshalb könnte die Linkspartei mit ihren populistischen Forderungen dazu beitragen, das Reformtempo zu drosseln. WELT ONLINE: Markiert die Agenda 2010 damit den Reformzenit? Schmoldt: Dieser Aufbruch war richtig, auch wenn die Gewerkschaften das im Einzelnen kritisiert haben. Der jetzige Aufschwung ist auch ein Ergebnis der Agenda 2010. Für die Sozialdemokraten und die Gewerkschaften war das natürlich schwierig. Die Agenda 2010 hat Zumutungen für die Menschen enthalten. Aber es gilt damals wie heute: Es gibt kein Zurück mehr in die 70er oder 80er Jahre. WELT ONLINE: Die Arbeitslosenzahl sinkt. Wie weit wird sie noch zurückgehen? Schmoldt: Selbst wenn die Konjunktur weiter so gut laufen sollte wie jetzt, werden wir die Arbeitslosenzahlen nicht deutlich unter drei Millionen drücken können. Für diese drei Millionen Menschen brauchen wir einen Kombilohn. Nicht jeder ist hoch qualifiziert. Für einfache Arbeiten ist es schwierig, einen Lohn zu bekommen, von dem man in Deutschland leben kann. Wenn der Staat die Löhne dieser Menschen auf das Tarifniveau aufstockt, wirkt das langfristig auf die Stabilität einer Demokratie. Es ist nicht gut für eine Gesellschaft, wenn viele ihrer Bürger vom Staat alimentiert werden. WELT ONLINE: Ist das Verhältnis der Gewerkschaften zur SPD besser geworden? Schmoldt: Ja, auf jeden Fall. Das hat sicherlich auch mit den handelnden Personen zu tun. Hinzu kommt: Mittlerweile hat sich auch bei den Gewerkschaften die Erkenntnis durchgesetzt, dass es ohne Veränderungen nicht geht. Das war zu Beginn der Agenda 2010 anders. Da haben viele geglaubt, es könnte alles so bleiben wie es ist. WELT ONLINE: Gegen die Verlängerung der Lebensarbeitszeit betreiben die Gewerkschaften weiterhin Fundamentalopposition. Schmoldt: Ich bin für Veränderungen im System. Dass wir alle älter werden und länger leben, kann ja niemand bestreiten. Wenn wir erkennbar genug Arbeitsplätze auch für die Älteren haben, lasse ich mit mir über einen Korridor von 62 bis 67 Jahren reden. Wir müssen die Bedingungen für Teilrentenmodelle verbessern und wir müssen auch über Nachfolgemodelle für die Altersteilzeit nachdenken. WELT ONLINE: Wie sieht die Mitgliederentwicklung bei der IGBCE aus? Schmoldt: Erstmals seit Jahren verzeichnen wir wieder einen Zuwachs bei den Mitgliedern. Das liegt an der erfolgreichen Tarifrunde und an der guten Konjunktur. Wir gewinnen neue Mitglieder unter den neu Eingestellten und können so die Abgänge ausgleichen. Mit Hubertus Schmoldt sprachen Stefan von Borstel und Philipp Neumann
|