Konzern will Erkenntnisse von Experten über sein Öldesaster unter Verschluß halten
Offentsichtlich versucht BP, sich das Schweigen der Fachleute zu erkaufen. Cary Nelson, Vorsitzender des Verbandes der US-amerikanischen Hochschullehrer, beklagt in einem Beitrag für das Internetmagazin »Inside Higher Ed«, daß der britische Konzern verschiedenen US-Wissenschaftlern Verträge mit Knebelklauseln angeboten hat. Die Erkenntnisse der Fachleute würden zum Eigentum BPs und dürften erst nach drei Jahren veröffentlicht werden. Außerdem müßten die Experten sich in ihren Äußerungen an die Anweisungen der BP-Rechtsanwälte halten. Nelson weist darauf hin, daß sie damit auch nicht in einem Verfahren gegen BP aussagen könnten, und sieht nicht nur die wissenschaftliche Freiheit, sondern auch die Interessen der Bürger der USA bedroht.
Der britische Sender BBC, dessen Recherchen diesen Inhalt der Verträge bestätigen, kennt auch den Grund, weshalb für einige Wissenschaftler das BP-Angebot dennoch verlockend ist: Das Unternehmen, das für die größte Umweltkatastrophe in der Geschichte der USA verantwortlich ist, bietet den Wissenschaftlern bis zu 250 US-Dollar pro Stunde. BBC berichtet von einem Beispiel, der Abteilung für Meereswissenschaften der Universität von South Alabama, die BP vollständig habe unter Vertrag nehmen wollen. Als die Wissenschaftler jedoch zur Bedingung machten, daß sie die Daten und Forschungsergebnisse jederzeit publizieren können, wie es guter wissenschaftlicher Praxis entspricht, habe der Multi einen Rückzieher gemacht.
»Hier versucht ein gigantischer Konzern akademisches Schweigen in umfassender Weise zu erkaufen«, meinte Cary Nelson gegenüber BBC. In seinem erwähnten Kommentar weist er darauf hin, daß die Ölkatastrophe unter anderem auch weitreichende Auswirkungen auf die Energiepolitik der USA und des Rests der Welt haben wird. In diesem Zusammenhang sei der freie Austausch von Informationen nicht nur eine Frage der Freiheit der Wissenschaften, sondern auch wichtig für die richtigen Entscheidungen. Die Aussicht, daß ein milliardenschwerer Konzern den Austausch von Forschungsergebnissen blockieren und die Arbeitsfelder der Wissenschaftler kontrollieren könne, sei verstörend und eine Bedrohung für die US-amerikanische Gesellschaft.
Indes wurde am Freitag bekannt, daß auf der havarierten Bohrinsel bereits Monate vor der Katastrophe ein wichtiges Warnsystem deaktiviert worden war. Das Management habe die Signale abschalten lassen, damit die Arbeiter nicht »um drei Uhr morgens« durch Fehlalarme geweckt würden, sagte der leitende Elektrotechniker der Plattform, Mike Williams, bei einer Anhörung in New Orleans.
Einige Verlierer stehen jetzt schon fest. Viele Fischerfamilien, die es gewohnt waren, sich selbst direkt vor ihrer Haustür aus dem Golf zu bedienen, sind nun auf Nahrungsmittelpakete von Hilfsorganisationen und Konservenfleisch angewiesen, das ihnen den frischen Fisch ersetzen muß. Weitere Teile der US-Golfstaaten sind inzwischen für die Fischerei gesperrt.
Auch die Tourismusbranche leidet erheblich. Der englischsprachige Dienst der Nachrichtenagentur Reuters berichtet, daß der wirtschaftliche Schaden für den Fremdenverkehr bis zu 22,7 Milliarden US-Dollar, verteilt auf drei Jahre, betragen könnte. Zu diesem Ergebnis kam eine im Auftrag des Branchenverbandes US Travel Association erstellte Studie für die Bundesstaaten Florida, Louisiana, Mississippi, Alabama und Texas. 2008 hätten Touristen in der Region 34 Milliarden US-Dollar ausgegeben und 400000 Arbeitsplätze geschaffen. Selbst Teile Floridas, in denen noch gar kein Öl an den Stränden gesichtet wurde, hätten bereits unter Abbestellungen und dem Rückgang der Buchungen zu leiden. Der Verband versucht, unter anderem mit einem von BP finanzierten, 400 Millionen US-Dollar teuren Marketingprogramm gegenzusteuern.
Unterdessen hat sich nach EU-Energiekommissar Günther Oettinger auch Bundesumweltminister Norbert Röttgen (beide CDU) für ein Moratorium bei Bohrungen nach Erdöl in der Nordsee ausgesprochen. Die Bundesregierung sollte eine entsprechende Initiative in der EU starten. Besonders glaubwürdig ist er damit allerdings nicht. Zum einen, weil die Entscheidung über die Erschließung neuer Gas- und Ölfelder nicht in die Verantwortung der Gemeinschaft, sondern in die der Mitgliedsländer fällt. Der EU-Ministerrat könnte also bestenfalls eine unverbindliche Empfehlung aussprechen. Zum anderen, weil Deutschland seine vergleichsweise bescheidenen Ölfelder in der Nordsee bereits erschlossen hat und sie auch ausbeutet. Mitten im Nationalpark Wattenmeer betreibt RWE Dea gemeinsam mit der BASF-Tochter Wintershall schon seit 1986 die Bohrplattform Mittelplate. Erst vor wenigen Wochen wurde deren Lizenz, die zum Ende des Jahres hätte auslaufen sollen, klammheimlich bis 2041 verlängert. Selbst die Abgeordneten des schleswig-holsteinischen Landtags wurden von der Entscheidung des zuständigen Landesamtes für Bergbau, Energie und Geologie im niedersächsischen Clausthal-Zellerfeld überrascht.
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