Zur Bekämpfung von Krankheiten, die fast ausschließlich in ärmeren Regionen auftreten, werden kaum Forschungsmittel eingesetzt. Ein Gespräch mit Oliver Moldenhauer, Referent der Medikamentenkampagne von »Ärzte ohne Grenzen«
Auf dem G-8-Gipfel 2005 in Gleneagles haben die Staats- und Regierungschefs angekündigt, daß bis 2010 alle Menschen Zugang zu AIDS-Prävention und Behandlung haben sollen. Wie beurteilen Sie die Ergebnisse?
Es sind große Fortschritte in der Behandlung von HIV/AIDS gemacht worden. Es gibt heute zwei Millionen Menschen, die mit antiretroviralen Medikamenten behandelt werden, 2003 waren es erst 400000. Ermöglicht wurde das durch billigere Medikamente, Generika sowie durch mehr finanzielle Mittel, die zum Beispiel von den G8 bereitgestellt wurden, als die Preise sanken. Das Problem ist, daß die Mittel zur AIDS-Bekämpfung zwar erhöht wurden, sich die G8 mit ihrer Politik auf anderen Feldern diesen Erfolg aber wieder kaputtmachen, etwa beim Thema Patentschutz, was zu teureren Medikamenten führen wird.
Angela Merkel hat für den G-8-Gipfel in Heiligendamm ja den Schutz geistigen Eigentums auf die Tagesordnung gesetzt.
Wir befürchten, daß dort Druck auf die Entwicklungs- und Schwellenländer ausgeübt wird, die Rechte nicht zu nutzen, die ihnen gemäß internationalen Handelsabkommen zustehen: also keine Zwangslizenzen zu vergeben, mit denen die Patente auf Medikamente umgangen und Generika produziert werden können. Merkel redet von Innovation, meint aber immer nur stärkere geistige Eigentumsrechte. Bei Armutskrankheiten bieten diese aber keinerlei Anreiz zur Forschung, sondern blockieren nur den Zugang.
Bei Malaria ist jetzt von der Drugs for Neglected Diseases Initiative (DNDi) ein Medikament bewußt ohne Patentschutz entwickelt worden. Ist das ein Modell auch für weitere Präparate?
Ja. Hierzu sind aber wesentlich mehr öffentliche Gelder notwendig. Bisher werden DNDi und ähnliche Initiativen vor allem von privaten Geldgebern finanziert.
»Ärzte ohne Grenzen« fordert, daß für eine Reihe von Krankheiten wie Tuberkulose oder Kala-Azar geforscht wird, um neue Arzneimittel zur Verfügung zu haben. Wird es sie geben?
Forschung ist immer auch Glückssache. Daher ist der Ansatz von Produktentwicklungspartnerschaften wie der DNDi wichtig, an verschiedenen Wirkstoffen gleichzeitig zu forschen. Die DNDi hat derzeit 22 Projekte in der Pipeline. Ihr Ziel ist es, sechs bis acht neue Medikamente bis 2014 zur Zulassung zu bringen.
Nichtregierungsorganisationen beklagen zwar die Vernachlässigung der Forschung bei einer Reihe von Krankheiten in Entwicklungsländern, weil sie im Norden kaum bekannt seien, konzentrieren sich in ihrer Arbeit aber doch auf HIV/AIDS. Weil letztere Problematik in den Industriestaaten leichter zu vermitteln ist als die von Kala-Azar?
HIV/AIDS ist ein unglaublich großes Problem, bei Infektionskrankheiten sind nur Tuberkulose und Malaria vergleichbar. Allerdings ist bei HIV die Forschungslage relativ gut. Vom Staat und auch von der Pharmaindustrie werden viele Milliarden in die HIV-Medikamentenentwicklung investiert, weil es hier im Norden auch Kranke gibt. Bei Tuberkulose und Malaria oder noch extremer bei Kala-Azar geschieht sehr wenig in der Forschung.
Einer der Schwerpunkte von »Ärzte ohne Grenzen« ist Tuberkulose, die sich wieder stark verbreitet. Das Dramatische dabei sind nicht nur wachsende Patientenzahlen, sondern auch die Entwicklung von Resistenzen gegen die vorhandenen Antibiotika. Da ist man teilweise auf den Stand der zwanziger Jahre zurückgeworfen, weil die Medikamente nicht mehr wirken: Die Leute bekommen Schmerzmittel, gutes Essen, gute Luft und Ruhe. Und dann kann man nur noch hoffen.
Interview: Jan Eisner (Quelle: »Ärzte ohne Grenzen«)
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