Patienten-Organisationen 2008-08-22
Beobachter Pharmafirmen pumpen viel Geld in Patientenorganisationen. Vordergründig geht es ihnen um Aufklärung, doch dahinter steckt ein anderer Gedanke: «Informierte» Patienten sollen beim Arzt die neusten rezeptpflichtigen Medikamente einfordern. Stefan Wild mag das Wort Sponsoring nicht. Das Geschäftsleitungsmitglied der Pharmafirma MSD hat es aus dem aktiven Wortschatz gestrichen. Es riecht zu sehr nach Hintertreppe und Gegengeschäft, überhaupt nach ungewaschenen Socken. Er bevorzugt poliertes Wortmaterial, «Aufklärung» zum Beispiel oder «Förderung von Gesundheitskompetenz», und sagt: «Jeder weiss, wie viele Zylinder und PS sein Auto hat. Aber weiss man auch über den eigenen Motor Bescheid? Kennt man Blutdruck, Cholesterinwerte, Lungenvolumen, Knochendichte?» Und meint damit: Absicht des Sponsorings sei die Aufklärung des Patienten. Das klingt edelmütig und nach dargebotener Hand.
Es ist erstaunlich, wie viel diese angeblich uneigennützige Aufklärung den Pharmafirmen bereits wert ist. Eine Recherche bei zwei Dutzend zufällig ausgewählten Patientenorganisationen, also Anlaufstellen für Patienten mit einer bestimmten Krankheit wie Diabetes oder Rheuma, zeigt: Manche Organisationen erhalten mehrere hunderttausend Franken jährlich von der Pharmaindustrie. Bei einigen machen diese Gelder sogar einen Grossteil des Jahresbudgets aus: So ist der Verein Kinderwunsch zu 90 Prozent von der Industrie gesponsert, die Vereinigung Schweizer Schmerzpatienten zu 75 Prozent, die «nomig – Aktion gegen Kopfschmerzen», eine Informationsplattform für Migränepatienten, zu 50 Prozent (siehe «Umfrage bei Patientenorganisationen: So viel Geld erhalten sie von der Pharmaindustrie»).
Diese Umarmung der Medikamentenindustrie hat wenig mit Menschenliebe, dafür viel mit Absatz und Rendite zu tun: Pharmafirmen dürfen für rezeptpflichtige Medikamente nämlich keine Werbung machen. Zumindest nicht beim Laienpublikum. Deshalb umgarnten die Pharmavertreter bislang die Ärzte, um für ihre neuen Pillen zu werben. «Rund 57000 Franken pro niedergelassenen Arzt und Jahr investiert die Industrie in diesen Zweck», schreibt der Bremer Professor Gerd Glaeske in seiner Studie «Einfluss des pharmazeutisch-industriellen Komplexes auf die Selbsthilfe». Ein stattlicher Ausgabenposten. Was liegt da näher, als den direkten Zugang über die Patientenorganisationen zu suchen? Das ist günstiger.
Ziel: Patientengruppen als Verbündete
Vertreter unabhängiger Selbsthilfegruppen bestätigen die Vermutung. «Die Pharmaindustrie hat ihre Marketingstrategie gewechselt: Sie zielt nicht mehr nur auf die Ärzte, sondern direkt auch auf die Patienten», sagt Vreni Vogelsanger von der Stiftung Kosch, dem Dachverband Schweizer Selbsthilfegruppen. Der Berner Gesundheitsökonom Gerhard Kocher geht noch weiter: «Mit der neuen Strategie sollen Patientengruppen zu Verbündeten der Pharmafirmen werden.» Doch zu welchem Zweck sollen sie das werden? «Die Pharmafirma will vor allem die Behandlung der Krankheit durch Medikamente propagieren – und in erster Linie mit ihrem eigenen Präparat», fügt Kocher an, der auch Ehrenpräsident der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Patienteninteressen (SAPI) ist.
Und was könnte sich da besser eignen als die Patientenorganisationen, die direkten Zugang zu den Kranken haben? Diese holen sich genau deshalb dort Rat, weil die Organisationen als kritisch und unabhängig gelten. Die Rheumaliga führte letztes Jahr 5000 Beratungen für Betroffene und Angehörige durch, die Diabetes-Gesellschaft ist Anlaufstelle für die 300000 Diabetikerinnen und Diabetiker im Land. Sie gelten als unabhängig, weil sie sich zu grossen Teilen mit Mitgliederbeiträgen, Geldern der öffentlichen Hand und Spenden finanzieren. Wie unabhängig sind sie aber noch, wenn sie offenbar auch immer häufiger den Annäherungsversuchen der Pharmaindustrie erliegen?
So sponsern die Pillenfirmen munter drauflos: Broschüren, Anlässe, Websites, auch schon mal ein «Golf-Charity» oder einen «Event» im Kinderzoo Rapperswil. Natürlich geschieht das nicht ohne Gegenleistung: Die Sponsoren werden genannt und mit Logos aufgeführt. Die Firmen erhalten auch schon mal Mitsprachemöglichkeiten bei Tagungsprogrammen, und Referenten der Pharmafirmen informieren Patienten während einer Tagung über neue Therapiemöglichkeiten – natürlich aus ihrer Sicht.
Werbung im Schafspelz
Dabei wird das Werbeverbot zuweilen arg geritzt. Denn was ist es anderes als Werbung, wenn in der Asthmabroschüre der Lungenliga steht: «Besonders gut wirken die neueren Kombinationspräparate, die sowohl eine bronchialerweiternde Komponente als auch einen Kortisonanteil enthalten. […] Für Patienten mit schwerem allergischem Asthma, die mit den inhalierbaren Medikamenten ungenügend stabilisiert werden können, steht ein Anti-IgE-Präparat zur Verfügung.» Die Absicht ist naheliegend: Patienten sollen für das neue, oft teurere Medikament gewonnen werden und es beim Arzt einfordern. Immerhin erfährt der Leser auf der letzten Seite, dass «diese Broschüre nur dank der grosszügigen Unterstützung von Sponsoren realisiert werden konnte», nämlich AstraZeneca, GlaxoSmithKline und Novartis. Aber der Leser erfährt nicht, dass AstraZeneca, GlaxoSmithKline und Novartis Asthmamedikamente herstellen. Ebenso wenig erfährt er, dass die Lungenliga letztes Jahr 86000 Franken an Sponsoringbeiträgen von Pharmafirmen erhielt.
Oder was ist es anderes als Werbung, wenn auf der Homepage der «Aktion gegen Kopfschmerzen» unter der Rubrik «Betroffene fragen – Experten antworten» zu lesen ist: «Viele Betroffene können dank Triptanen [ein Wirkstoff, die Red.] trotz Migräne ihre Pläne einhalten und fühlen sich dabei von einigermassen gut bis sehr gut»?
Laut Bundesgericht sind solche Anpreisungen verboten. In einem Urteil kamen die höchsten Richter 2006 einstimmig zum Schluss, dass die Pharmafirma Pfizer gegen das Werbeverbot verstossen hatte, weil sie in einer in Haushaltungen verschickten Broschüre auf Medikamente mit ebendiesem Wirkstoff Triptan Bezug genommen hatte.
«Unnötige Bedürfnisse schaffen»
Doch was ist eigentlich schlimm an Werbung für rezeptpflichtige Medikamente? «Mit Werbung für Medikamente werden bei vielen Menschen, die ein bestimmtes Medikament gar nicht brauchen, unnötige Bedürfnisse geschaffen. Sie sehen die Werbung, rennen zu ihrem Arzt und verlangen das Medikament», sagt Apotheker Markus Fritz, Leiter der unabhängigen Schweizerischen Medikamenten-Informationsstelle (SMI) in Basel. Die Zeche bezahlen wir alle in Form höherer Prämien.
Die Pharmaindustrie wehrt sich gegen den Vorwurf, sie wolle mit dem Sponsoring nur den Absatz ihrer neuen Pillen fördern. Stefan Wild von MSD argumentiert: Entscheidend sei doch, dass der Patient erst nach der Diagnose von der Pharmafirma angesprochen werde. «Wenn der Patient unser Medikament verschrieben bekommen hat, sind wir interessiert daran, dass er weiss, was er nimmt und wie er es richtig nimmt.» Das klingt logisch, verfängt aber nicht. Die Bundesrichter argumentierten eindeutig und streng: Das Werbeverbot für Medikamente soll verhindern, dass der Patient seinen Arzt zur Verschreibung einer bestimmten Pille drängt. Und das Verbot gilt laut Aufsichtsbehörde Swissmedic auch für die Patientenorganisationen. Auch bröckelt das Bild der uneigennützigen Firma, der es nur um die «Aufklärung» der Patienten geht. So unterstützte MSD 2007 vier Patientenorganisationen aus den Krankheitsbereichen Lunge, Aids und Diabetes mit 37000 Franken. MSD stellt Asthma-, Aids- und Diabetesmedikamente her.
Die Firma Novartis gibt dem Beobachter nicht einmal bekannt, wie viel sie fürs Sponsoring ausgibt. Immerhin veröffentlicht sie seit einem Jahr die Namen der gesponserten Patientenorganisationen im Internet. Zurzeit sind es in der Schweiz 15.
Den Organisationen ist nicht ganz wohl
Bereits gibt es spezialisierte PR-Agenturen wie das Institut für Medizin und Kommunikation (IMK). Es bietet seine Dienste im Internet folgendermassen an: «Die Pharmaunternehmen dürfen sich per Heilmittelgesetz mit ihren Produkten nicht direkt an die Öffentlichkeit wenden. Der Weg über die Ärzteschaft ist vorgeschrieben. Allerdings werden hier neue Wege ausgetestet. […] Überlassen Sie uns die Suche, Kontaktaufnahme sowie Betreuung einer Sponsorengruppe.»
Wer bei den Patientenorganisationen nach konkreten Zahlen fragt, merkt, dass ihnen selber nicht immer wohl ist mit dem Geldsegen der Industrie. Die Schweizerische Kopfwehgesellschaft etwa sagte dem Beobachter nicht, ob und wie viel Geld sie erhält. Andere waren nur nach hartnäckigem Nachfragen bereit, die Geldbeträge der Pharmaindustrie offenzulegen. Die Krebsliga etwa antwortete zögerlich, Sponsoring sei bei ihr «unbedeutend, um nicht zu sagen verschwindend gering». Auf Nachfrage stellte sich heraus, dass es tatsächlich nur zwei Prozent des Jahresbudgets ausmacht – aber mit rund 600000 Franken im vergangenen Jahr doch nicht ganz so verschwindend gering.
Patientengruppen riskieren mit dem Sponsoring, in die Schmuddelecke zu geraten, ihren guten Ruf zu verspielen und zu vorgeschobenen Fusstruppen der Pharma zu werden. Denn Sponsoring führt zu Abhängigkeiten, weil es immer mit Gegenleistungen verbunden ist. Stéphanie Mörikofer, bis vor kurzem Präsidentin der Schweizerischen Diabetes-Gesellschaft, räumt denn auch ein: «Ohne Pharmasponsoring müsste die Diabetes-Gesellschaft auf ihre Informationstätigkeit verzichten.»
Strenge Leitlinien sollens richten. Es gibt einen Sponsoringkodex der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Patienteninteressen. Doch Vreni Vogelsanger vom Selbsthilfegruppen-Dachverband sagt nüchtern: «Wir überprüfen nicht, könnten auch keine Sanktionen verhängen.» Es gäbe eine Alternative: Die Pharma verteilt ihr Geld in Form von Spenden, ohne eine Gegenleistung zu erwarten, im Sinne eines bedingungslosen Geschenks. So erhielt der Dachverband der Selbsthilfegruppen Kosch 2004 von Sandoz eine einmalige Spende in Höhe von 100000 Franken. «Leider», so Vogelsanger, «der bisher einzige Fall dieser Art.»
1inklusive Sponsoring aus Kosmetik-, Elektronik- und Lebensmittelindustrie 2Mittelwert Quelle: Umfrage Beobachter, Angaben der Organisationen. Es handelt sich um Sponsoringgelder, in ganz seltenen Fällen teilweise auch um Spenden.
So versuchen Patientenorganisationen, sauber zu bleiben
Mit Richtlinien möchte die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Patientinnen- und Patienteninteressen (SAPI) Missbrauch verhindern. Sie lehnt die finanzielle Unterstützung durch Pharmafirmen nicht rundweg ab. Allerdings: Bei einem Rückzug des Sponsors muss die Organisation weitergeführt werden können. Sponsoren sollten nicht im Vorstand sitzen oder allenfalls maximal 20 Prozent der Sitze beanspruchen. Einzelne Behandlungsmöglichkeiten oder Produkte eines Sponsors dürfen nicht hervorgehoben werden.
Mindestens zwei Sponsoren zu haben (etwa für Broschüren oder Veranstaltungen) ist ein Mittel vieler Organisationen, um die Abhängigkeit von einer einzigen Firma zu vermeiden. Andere wie das Schweizerische Zentrum für Allergie, Haut und Asthma suchen sich gleich Geldgeber aus mehreren Branchen wie Elektronik, Pharma, Kosmetik und Lebensmittel. Einzelsponsoring kommt kaum mehr vor. So beschränkt die Krebsliga das Sponsoring auf einzelne Projekte. «Es gibt also weder ein Exklusivsponsoring, noch tritt die Krebsliga öffentlich mit Produkten der Pharmaindustrie in Erscheinung», teilt sie mit.
Inhaltliche Unabhängigkeit lassen sich die Organisationen oft vertraglich zusichern. Praktisch alle angefragten Patientenorganisationen beteuern, dass sie allein für den Inhalt der Broschüren zuständig seien. Die Schweizerische Polyarthritiker-Vereinigung betont, dass sie ohne Rücksprache keine Adressen und Daten von Betroffenen weitergibt.
Text: Christoph Schilling
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